…und wenn ja wie viele? Diese Frage könnte sich nicht nur Amphitryon in der gleichnamigen Inszenierung der Tragikomödie von Heinrich von Kleist ab der ersten Minute des Stückes im Sekundentakt stellen. Denn Jakob Fedler verstrickt das Ensemble des Theaters Erlangen tiefer und tiefer in ein Netz aus Täuschungen, Verwechslung und Scheinidentitäten und fängt damit auch sein Publikum.
Der Plot ist schnell erzählt. Als der thebanische Feldherr Amphitryon nach einer Schlacht siegreich zu seiner Frau Alkmene zurückkehrt, trifft er sie in höchster Verwirrung vor: Hatte sie doch gestern bereits ihren Ehemann empfangen. Wie sich herausstellt, war es jedoch der Göttervater Jupiter selbst gewesen, der sich in der Gestalt Amphitryons in ihr Bett geschlichen hatte. Derselben Täuschung unterliegt auch eine Dienerin des Hauses, die anstatt ihres Gemahls den Götterboten Merkur in ihre Stube lässt. Wie Amphitryon auf diese Schmach reagiert, erzählt Kleist in seinem Werk zwar, aber am Erlanger Theater lernt das Publikum einen anderen Titelhelden kennen – oder mehrere.
Ein Titelheld ohne Titel
Der Mann, dessen Name groß auf dem Werbeplakat prangt, wird nämlich mehr und mehr an den Rand gedrängt. Am Anfang verkündet er noch stolz seinen Namen, dann aber wird er zur Lachnummer. Immer mehr versucht er, sich in die Handlung einzuschalten. Als sein Doppelgänger seine Frau verführt, lässt auch er die Hosen herunter, plappert ihm nach und versucht dabei zu sein – vergeblich. Auch später kommt er über seine erste Textzeile nie hinaus. Zuletzt gibt er es auf, seine Doppelgänger zu korrigieren und seine Identität für sich einzufordern: Er verbringt die Aufführung am Rand der Bühne, der Zuschauer vergisst ihn.
Seine Identität aber wird zum Angelpunkt der Inszenierung. Alle Schauspieler sehen aus wie er, sprechen seinen Text, handeln an seiner statt. Allmählich verselbständigt sich das Motiv des Doppelgängers jedoch. Kein Schauspieler beschränkt sich mehr auf seine Rolle, über Geschlechtergrenzen hinweg springen sie von einer zur nächsten. Am Schluss ist der Handlungsfaden verloren gegangen, die Figuren bemühen sich nur noch, sich selbst wiederzufinden.
Anzugträger überall
Die Suche nach der eigenen Identität war für die Ausnahmeerscheinung Kleist ebenso zentral wie sie es heute ist. Trotzdem läuft dieses Thema Gefahr, düster oder klischeehaft zu werden. Dem Ensemble und dem Regisseur gelingt es, genau das durch die komödiantischen Elemente und durch einige geniale Bühnenkniffe zu verhindern.
Zum Beispiel ist der Zuschauerraum dank einer Videoaufzeichnung im Livemitschnitt als Bühnenhintergrund durchweg präsent. Jede eigene Bewegung wird somit Teil des Geschehens und als sich plötzlich die Stuhlreihen immer weiter leeren, wird der Ich-Verlust der Figuren auf der Bühne auch auf jeden im Raum übertragen. Gesteigert wird dieses Gefühl noch als sie sich wieder füllen, jedoch mit denselben Anzugträgern, die auf der Bühne agieren.
Kleist auf den Punkt gebracht
Konsequent ist zuletzt auch der Showdown. Jupiter trägt alleine seinen Mitstreitern alle Rollen vor und drängt die anderen, Schauspieler wie auch ihre Figuren, in die Rolle passiver, gesichtsloser Zuschauer. Besser hätte der Regisseur sich Kleist nicht annähern können als mit der Entscheidung, den Fokus weg von der Handlung auf die Frage zu richten, was bleibt, wenn dem Schauspieler die Rolle und dem Menschen die Identität genommen wird.
Ein Theatererlebnis, das noch lange nachhallt, und ein gelungener Auftakt für die Werkschau zum Autor, die im März im Theater präsentiert wird.
Kathrin Penk