Drei Gretchen stehen im Dreieck, im Dunkeln, Lichterketten um den Hals. Richtig, drei Gretchen. Als Außenstehender könnte man sich fragen, wie viel Alkohol im Spiel sein muss, damit alle Zuschauer dreifach sehen. Für diejenigen, die am 22. Januar in den Frankenhof Erlangen gekommen sind, ist es inzwischen völlig einleuchtend: Drei Schauspielerinnen mimen Gretchen – zumindest in dieser Szene. In einer anderen sprechen fünf Gretchen mit zwei … was ist eigentlich die Mehrzahl von Faust? Fausts? Fäuste? Dann würden die fünf Gretchen aber mit zwei Fäusten sprechen. Und das klingt alberner als es ist. Immerhin nimmt die Tragödie gerade ihren Lauf.
Wie wirkungsvoll es ist, eine Rolle zur gleichen Zeit mehrfach zu besetzen, zeigt sich spätestens bei der Kerkerszene. Faust steht zwischen vier Gretchen, die auf ihn einreden. Ist Gretchen in dem Moment wütend, verzweifelt, traurig oder schon verrückt? Jedes der vier Gretchen wirkt etwas anders. Eine eindeutige Interpretation gibt es nicht. Vielleicht ergibt auch die Mischung das Gesamtbild ihres Charakters.
So wirft die Inszenierung von Anneke Ulrike Steffen und Andreas Pommer des FEW-Theaters Fragen auf, deutet verschiedene Möglichkeiten an, legt sich aber nicht fest. Das ist zu Beginn der Aufführung neu und verwirrend. Das Publikum wird vor die Herausforderung gestellt, herauszufinden, wer wer ist. Im ersten Teil ist es nicht so einfach sich zurechtzufinden. Fausts Monolog „Habe nun ach …“ sprechen die Schauspieler im Chor. Zu Musik rennen sie anschließend über die Bühne, die von drei Seiten mit Zuschauerrängen umgeben ist. Erschöpft liegen sie dann auf dem Boden und wechseln sich mit den Zeilen ab, in denen Faust und Mephisto ihre Wette besiegeln. In dem Moment ist es schwierig zu erkennen, wie die Rollen verteilt sind. Doch im zweiten und dritten Teil der Aufführung wird es leichter.
Drei Figuren, acht Darsteller
Das Publikum sitzt ganz nah am Geschehen dran und die Darsteller nutzen die Fläche voll aus. Selbst im Chaos scheinen sie alle zu wissen, was sie tun. Sie joggen, machen Gymnastikübungen, boxen in die Luft. Es wird viel Action geboten. Dabei zieht sich durch die ganze Inszenierung eine perfekt einstudierte Choreografie – ob die Schauspieler nun gleichzeitig auf die Zuschauerränge zugehen, punktgenau über die Bühne verteilt stehen oder in Gruppen zusammen spielen. Allein durch die Konstellation wird deutlich, wie die Figuren zueinander stehen.
Die Figuren, das sind genau drei: Faust, Mephisto und Gretchen, gespielt von acht Darstellern. Die Männer wechseln sich mit Faust und Mephisto ab, die Frauen mit Gretchen und Mephisto. Nur eine Stunde spielen sie, aber dabei geben sie alles. Die Inszenierung ist intensiv und abwechslungsreich. Goethes Originaltext ist durchsetzt mit Twitter-Kommentaren wie: „Hashtag YOLO“. Ein andermal setzen sich die drei männlichen Schauspieler Sonnenbrillen auf und üben in der Rolle von Faust Anmachen für Gretchen. Modernes wird mit Klassischem gemischt. Über die textuellen Zusammenhänge hat Vera Podskalsky in der Vorankündigung ausführlich geschrieben.
Sicherlich ist es gerade für Faust-Vielseher interessant, die große Tragödie einmal in einer abgespeckten Version zu sehen: Reduziert auf die drei wesentlichen Figuren und die stärksten Szenen. Die Regisseure überlassen den Zuschauern hier einen großen Interpretationsspielraum. Ganz unabhängig von allen Interpretationen ist diese Inszenierung auch einfach erfrischend anders.
Patricia Achter
Weitere Vorstellungen: 30.01. und 04.02.2015 jeweils um 19:30 im Frankenhof Erlangen Eintritt: 7 Euro (5 Euro ermäßigt)