Wenn du ganz ehrlich bist, hat dich das Bild dazu gebracht, auf Weiterlesen zu klicken. Dieses Bild, das faszinierend und abstoßend zugleich ist. Man sieht die Körper mit einem anderen Blick, wenn man weiß, dass sie keine Nachbildungen sind, sondern tote Menschen. Plastinat nennt der Ausstellungserfinder Gunther von Hagens einen solchen präparierten Körper. Um es von Anfang an klarzustellen: In dieser Ausstellung sind Leichen zu sehen, deren Haut und Fettgewebe entfernt wurden. Durch das Plastinieren wird der Körper konserviert. Die Plastinate werden seit dem 24. Oktober auf dem Quelle-Areal in Nürnberg ausgestellt unter dem Motto Eine Herzenssache. Körperwelten ist schon lange umstritten, und trotzdem oder gerade deshalb gut besucht. Ist es zu Recht umstritten?
Gleich zu Beginn der Ausstellung ist ein Schild aufgehängt, das darauf hinweist, dass die Körperspender „zur medizinischen Aufklärung der Öffentlichkeit beitragen“ wollten. Es war ihre bewusste und freiwillige Entscheidung, ihren Körper nach dem Tod der Öffentlichkeit zur Verfügung zu stellen. Demnach muss niemand Angst haben, versehentlich nach dem Ableben plastiniert zu werden. Niemand? Nun, dazu kommen wir später.
Wer denkt, dass in dieser Ausstellung massenhaft Ganzkörperplastinate zu sehen sind, liegt falsch. Unter den über 200 Präparaten, die im Flyer angekündigt werden, befinden sich weniger als zwanzig vollständige Körper. Tatsächlich wird der Großteil von Körperwelten durch einzelne Körperteile bestritten: Herz, Leber, Hand oder Fuß. Das klingt wahrscheinlich seltsamer als es ist. An Horrorfilme darf man jetzt nicht denken. Eher an Anatomie-Bücher. Der Unterschied ist eben, dass die anatomischen Abbildungen hier in 3D sind und von realen Menschen stammen. Aus Plastik sind die Körper nicht, höchstens mit Plastik haltbar gemacht. Gerade durch dieses Plastinieren sehen die einzelnen Organe nicht aus wie in Horrorfilmen. Sie wirken sogar eher unecht und abstrakt, so als wären sie nur nachgebildet.
Zur Schau gestellt
Zu allen Ausstellungsstücken gibt es Informationen. Wer kein Medizin studiert hat, lernt bei einem Besuch allerhand über den menschlichen Körper. Das Anschauungsmaterial macht das Lernen wesentlich spannender als theoretische Ausführungen im Biologie-Unterricht. Gerade weil es sich um echte Organe handelt, ist es so interessant. Außerdem sind mithilfe von Farbe ganz feine Äderchen am Herzen oder die einzelnen Nervenstränge von Muskeln sichtbar gemacht worden. Alles, was man normalerweise nicht sieht, weil es innerhalb unseres Körpers ist, wird zur Schau gestellt.
Das Zurschaustellen ist meist sehr nüchtern. Anatomische Erläuterungen sorgen für einen seriösen Rahmen. Besucher sollen wirklich etwas lernen: Ob es nun das abschreckende Aussehen einer schwarzen Raucherlunge ist, oder mehrere Föten in verschiedenen Entwicklungsstadien. Ein Fötus in der elften Schwangerschaftswoche ist nicht größer als ein Daumen, sieht jedoch schon aus wie ein kleiner Mensch. Man bedenke, dass man bis zur zwölften Woche noch abtreiben darf. Körperwelten zeigt das Wunder des Lebens mithilfe von Toten. Lehrreich ist die Ausstellung allemal.
Organpräsentator und Kinderskelett
Allerdings werden manche Plastinate auf eine Weise zur Schau gestellt, die grenzwertig ist. Ein Körper ist mit Der Organpräsentator betitelt. Er wurde der Länge nach in der Mitte geteilt, damit Besucher einen Blick auf seine Organe werfen können. In einer Hand hält er seinen Magen – wie das Organpräsentatoren eben machen. Im Anatomischen Kabinett, wo sich die meisten Menschen drängen, stellen ein männliches und ein weibliches Plastinat den Liebesakt dar. Das hat mehr mit Voyeurismus als mit Wissenschaft zu tun. Richtig makaber wirkt aber das Skelett eines Kindes, in dessen einer Augenhöhle ein Auge ist.
Wie war das – jeder entscheidet selbst vor seinem Tod, ob er ausgestellt werden will? In diesem Fall hat wahrscheinlich nicht das Kind entschieden. Im Falle der Föten erst recht nicht. Wenn Erwachsene ihren eigenen Körper dafür hergeben, dass sie als radfahrendes Skelett mit Sonnenbrille auf dem Schädel enden, ist das eine Sache. Eine andere Sache ist es aber, Kinder zur Schau zu stellen. Gunther von Hagens kennt in seinem Bestreben, das Leben vom Anfang bis zum Ende zu zeigen, offenbar keine Grenzen. Hätte es den Besuchern gefehlt, wenn sie keinen Fötus im vierten Schwangerschaftsmonat gesehen hätten? Zumindest wäre kein geflüstertes „Krass“ mehr zu hören gewesen. Körperwelten spielt mit diesem Voyeurismus, mit diesen Bildern, die zugleich anziehend und abstoßend sind.
Am Ende der Ausstellung wird der Erfinder höchstpersönlich zitiert, der über Plastinate sagt:
„Ich war, wie Du bist: lebendig,
Du wirst sein, wie ich bin: tot,
Jedoch kannst du auch sein,
was ich bin: ein Plastinat.“
Wer sich als Körperspender meldet, bekommt übrigens freien Eintritt zur Ausstellung. Da kann man quasi sein eigenes Grab vorab besichtigen.
Patricia Achter
Zur Homepage von Körperwelten – eine Herzenssache geht es hier.
Ausstellungsdauer: 24.10.2014 bis 11.02.2015 Montag – Freitag: 9:00 – 19:00 Uhr (letzter Einlass 18:00 Uhr)Samstag, Sonntag und Feiertage: 10:00 – 19:00 Uhr (letzter Einlass 18:00 Uhr) Einzeltickets: Erwachsene: 18 Euro Kinder und Jugendliche (7-18 Jahre): 13 Euro Studenten und ermäßigte Personeon: 15 Euro