Peking. Was wissen wir Deutschen über die chinesische Hauptstadt, das Leben und die Probleme dort? Wissen wir von den Kindern, die zu arm sind, um zur Schule zu gehen? Von Familien, die vom Müllsammeln leben? Vom Menschenhandel? Das 3. Chinesische Filmfestival des Konfuzius-Instituts gewährt Einblicke in Schicksale von chinesischen Familien. Noch bis zum 2. November laufen in den Manhattan-Kinos Filme aus China über China. Es ist die Chance, eine andere Kultur, eine andere Sprache und ein anderes Leben kennenzulernen.
„Arme Kinder können in China ohne Probleme zur Grundschule gehen“, erklärt Regisseurin Ji Dan am 30. Oktober im Nachgespräch. „Aber ab der Mittelschule wird es schwierig.“ Denn die Eltern können schlichtweg das Schulgeld nicht mehr bezahlen. Das ist die Situation der drei Kinder Xia, Ling und Gang, die am Rande Pekings leben. Sie sind die Kinder von Wanderarbeitern. Die Regisseurin hat die Immigrantenkinder in einer Schule getroffen. Aus diesem Treffen ist ein Dokumentarfilm entstanden, der ein Jahr im Leben der Familie zeigt. Ein Drehbuch gab es nicht. „Ich habe die Kinder so lange mit der Kamera begleitet, dass zwischen uns ein Vertrauensverhältnis entstanden ist“, so Ji Dan. Das erklärt, warum diese sich so öffnen.
Die Sorge um ihre Zukunft, das Nachdenken über Geldprobleme ist den etwa 12- bis 14-jährigen Kindern ins Gesicht geschrieben. Sie schauspielern nicht. Wozu auch? Ihr Probleme sind echt. Ihre Gefühle ebenfalls. Für ihr Alter wirken sie schon sehr erwachsen und ernst. Die Eltern können ihnen keine weitere Schulausbildung bezahlen, aber zumindest eines der Kinder soll studieren. Die Wahl fällt auf den Sohn Gang. Doch selbst für ihn reicht das Geld noch lange nicht. Es scheint, als ob die Eltern den Plan vom Studium aufgeben wollen, weil sie keine Lösung finden. Die Töchter streiten mit ihnen. Warum lösten nicht sie die Probleme? Sie seien doch die Erwachsenen! Selbst wenn er sich umbringen würde, meint der Vater, könnte er das Geld nicht zusammenbekommen. So bleiben die Probleme an den Kindern hängen.
Opfer von Menschenhandel
Die Mädchen bitten einen Lehrer darum, ihnen Geld zu leihen. Er würde es ihnen aber nur geben, wenn sie mit ihm schliefen. Sein Arzt hatte ihm nämlich gesagt, dass er mit einer Jungfrau schlafen müsse, um gesund zu werden. Kein Wunder, dass Xia einmal resigniert: „It seems like I’ll end up like our sister.“ Englisch sind die Untertitel, der Film selbst ist auf Chinesisch. Und wenn sie von ihrer Schwester spricht, dann meint sie die vor drei Jahren verschwundene älteste Tochter der Familie. Wahrscheinlich wurde sie Opfer von Menschenhandel.
Die Dokumentation When the Bough Breaks zeigt Zuschauern intime Einblicke in das Leben dieser armen Familie, die vom Müllsammeln lebt – als eine der letzten. Inzwischen ist das überhaupt nicht mehr möglich. „Vor der Olympiade 2008 wurden Löcher in die Erde gegraben, in denen der Müll versteckt wurde“, führt Ji Dan aus. „Inzwischen wird der Müll aber verbrannt.“ Diese Einnahmequelle fällt also weg. Irgendwie gelingt es der Familie schließlich doch, das Geld zusammenzukratzen. Sie leihen sich etwas, die Mädchen suchen sich Arbeit als Haushälterinnen. Gang geht nach Huanggang in die Schule. Von dem einfachen Leben in der kleinen Hütte wird ohne technische Kunstgriffe erzählt. Oft filmt eine Handkamera mit. Künstliches Licht gibt es nicht: Wenn es in der Realität dunkel wird, ist es auch im Film dunkel.
Trotz der vielen ernsten Themen kommen komische Momente in der Dokumentation vor. Der tyrannisch veranlagte Vater verlangt einmal, dass sich alle in Reih‘ und Glied aufstellen und zusammen singen sollen. Seine Familie nimmt ihn nicht besonders ernst und lacht über ihn. Ein Zuschauer fragt die Regisseurin am Ende, ob der Vater nur wegen der Kamera so heftig reagiere. Ji Dan grinst: „Seine Töchter sagten mir, dass er sich wegen der Kamera zurückgehalten hat.“
Patricia Achter
Das Programmheft findet ihr auf der Homepage des Konfuzius-Instituts Nürnberg-Erlangen. Heute und morgen zeigen die Manhattan Kinos noch verschiedene chinesische Filme:
Samstag, 01.11.2014: 17 Uhr: Teeth of Love, Regie: Zhuang Yuxin, 109 Min. 20 Uhr: Double Xposure, Regie: Li Yu, OmeU, 106 Min. Sonntag, 02.11.2014: 14 Uhr: Summer Palace, Regie: Lou Ye, OmU, 104 Min. 17 Uhr: Huamulin, Boy Xiaoqiang, Regie: Li Xinmin, OmeU, 76 Min. 20 Uhr: Self-Portrait with Three Women, Regie: Zhang Mengqi, OmeU, 70 Min.