Leiden und Lachen

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„Die Leiden des jungen Werther“ am Theater Erlangen. Foto: © Ludwig Olah

„Die Leiden des jungen Werther“ muss Tragik, Trauer und – nicht zu vergessen – große Empfindsamkeit enthalten? Goethes Briefroman liefert von allem mehr als genug. 1774 kam das bei den Lesern gut an – so gut, dass Werthers Lösung für Liebeskummer reihenweise Nachahmer fand. Aber heute? Der Gefühlsüberschwang trifft nicht mehr ganz den Nerv der Zeit. Vielleicht auch besser so. Wo würde es denn hinführen, wenn sich jeder, der Liebeskummer hat, gleich umbringt? Das heißt aber nicht, dass man den klassischen Stoff nicht mehr auf die Bühne bringen kann. Wie es das Theater Erlangen getan hat.


Schon ein erster Blick in die Garage lässt erahnen, dass Regisseur Eike Hannemann Werther neu interpretiert: Die Bühne erinnert an einen sterilen, hochmodernen Obduktionssaal. Ein Diktiergerät gibt Werthers letzte Worte wieder, bevor er Selbstmord begeht. Der (einzige) Schauspieler Robert Naumann spult immer wieder genervt vor, bis irgendwann zu hören ist: „So sei es denn, Lotte, lebe wohl.“ Er bereitet seine Pistole vor. Manche Zuschauer halten sich vorsichtshalber die Ohren zu. Dann zerreißt ein Knall die Stille. Die Melone ist tot. Und nein, das ist kein Tippfehler. Der Schauspieler hat tatsächlich auf eine Wassermelone geschossen, aus der nun blutroter Fruchtsaft fließt.

Absurd? Sicher, aber das war nur der Anfang. Die Aufführung fängt mit dem Ende an, rückt Werthers Tod in ein ironisches Licht und nimmt die Tragik aus der Tragödie. Dann fängt Naumann an, die Geschichte von Beginn an zu erzählen und zu spielen. Der Witz dabei ist, dass Text und Spiel zwar zusammenpassen, aber das Schauspiel so übertrieben ist, dass es den Text dadurch kommentiert und auf ganz eigene Art und Weise interpretiert. Während der Schauspieler redet, macht er mit Instrumenten und anderen Gegenständen Geräusche, die er aufnimmt. Ob es nun ein Vogel, Pferdehufe auf Steinboden oder Donner sei – alles ist handgemacht. Dazu baut er eine kleine Szene auf: Zwei faustgroße Büsten sind einander zugewandt und hinter ihnen, auf dem Plattenspieler, steht eine Pflanze. Naumann richtet eine kleine Kamera darauf und stellt den Plattenspieler an. Dadurch wirkt es auf der Projektionsfläche an der Wand wie die Innenansicht von einer fahrenden Kutsche.

 

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Werther (Robert Naumann) macht ein Selbstportrait. Foto: © Ludwig Olah

albert, Albert, ALBERT
Langweilig wird es während der Aufführung am 20. Oktober nicht. Einmal nimmt der Schauspieler einen Strauß Karotten und beißt hinein. Ein andermal spricht er den Namen von Werthers Konkurrenten, dem Verlobten seiner Angebeteten Lotte, mehrmals mit grotesk verstellter Stimme aus, was schriftlich ungefähr so aussieht: „albert, Albert, ALBERT!“ Übertrieben wird es erst recht, als er die überschwängliche Verliebtheit von Werther voller Eifer und Begeisterung spielt. An die durchsichtigen Kunststoffwände kritzelt er Augen, ein Strichmännchen mit Rock, also ein Strichweibchen, und eine Silhouette von sich selbst mit dem Karottenbündel auf dem Kopf. Noch geschäftiger und unruhiger wird er im Liebeskummer. Er stutzt Pflanzen mit einer Schere, klebt – nein: knallt – weiße Plakate an die Wände. Dabei zeigt er seine inneren Kämpfe mit großen Gesten und lauten Wutausbrüchen à la „Bah!“

Durch die ganze Inszenierung zieht sich diese Komik, dieses Absurde, sodass es fast unmöglich ist, ernst zu bleiben. Erst gegen Ende der Aufführung spielt Naumann weniger übertrieben und scheint sich mehr in Werther hineinzuversetzen und ihn ernstzunehmen. Im Publikum lässt das Lachen nach. So gibt es letztlich doch noch traurige Elemente nach all dem Klamauk. Das Diktiergerät spielt vollständig die letzten Worte Werthers. Am Ende des Abends bleibt jedoch nicht der Eindruck von Trauer, sondern von guter Unterhaltung. Nur weil die Romanvorlage „Die Leiden des jungen Werther“ heißt, muss die Aufführung die Zuschauer noch lange nicht leiden lassen.

Patricia Achter

Mehr Informationen gibt es auf der Homepage des Theaters Erlangen. Einen Trailer findet ihr hier.
 
Weitere Vorstellungen in der Garage:
11.11.2014   11.00 Uhr
11.11.2014   20.00 Uhr
13.11.2014   11.00 Uhr
10.12.2014   20.00 Uhr
11.12.2014   20.00 Uhr
12.12.2014   20.00 Uhr

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