Es gibt Literaturwissenschaftler, die die durchaus umstrittene These vertreten, Einkaufszettel seien Literatur. Wenn das so ist, dann lasen Lucas Fassnacht und Fee vergangenen Mittwoch bei „Lesen für Bier“ ausschließlich Literatur, Universalgrillanleitung und Müllabfuhrterminplan inbegriffen.
Das Konzept der Veranstaltungsreihe ist überzeugend einfach: Das Publikum bringt Texte mit, – Klassiker, Kinderbücher, selbst Geschriebenes, Höhenkamm- oder Trivialliteratur – die Lucas Fassnacht und sein Gast abwechselnd vorlesen. Ist der Vortrag überzeugender als der Text, gibt es Bier für den Vortragenden. Ist der Text überzeugender als der Vortrag, gibt es Bier für den Textlieferanten.
Im Falle von Poetry Slammerin und Antialkoholikerin Fee lagen die Dinge ein wenig anders: Wer kein Bier trinkt, trinkt Tomatensaft, hatte Fassnacht entschieden und so wurde „Lesen für Bier“ für sie zu „Lesen für Tomatensaft“, das mit zunehmendem Gemüsegetränkkonsum gegen Ende des Abends sichtlich unerträglich war. Diese Entwicklung deutete sich bereits zu Beginn an, als Fee Fassnachts Vorlesegeschichte „Sophiechen und der Riese“, in der der Riese „Wasser- einfach nur Wasser“ trinken möchte, leibhaftig zu illustrieren schien.
Trotz Tomatensaft im Magen las die Künstlerin ohne mit der Wimper zu zucken aus einem Ratgeber für Männer mit „huge penis“, belustigte sich selbst beim Vorlesen eines spanischen Textes ohne Spanischkenntnisse und interpretierte oben genannte Universalgrillanleitung beeindruckend als Gesangsversion mit Klavierbegleitung: So drehte sich das Hühnchen am Grillspieß einmal klassisch mit Bach, einmal in der Musical-Version.
Zwischendurch gab sie außerdem einige ihrer Slam-Texte zum Besten. Einleitend klärte sie darüber auf, dass sie zwar Theologie studiert, man entgegen der gängigen Party-Gespräch-Meinung in ihrer Gegenwart aber weiterhin „Oh Gott“ ausrufen darf. Auch posierte sie naivelnd als Mädchen aus der „Heidis Horror Picture Show“, das „die Flinte nicht einfach so in den Sand steckt“ und mit Stolz von sich behaupten kann, dass es „für ein Action-Foto im Lara Croft-Look alles hingeworfen hat, wofür Frauen Jahrhunderte lang gekämpft haben“.
Fassnacht selbst hatte bei all dem und mit zunehmendem Bierkonsum, der ihm nach Eigenaussage aufgrund kürzlich durchgeführtem Heilfasten sehr schnell zu schaffen machte, ordentlich Spaß und betete seelenruhig die Oktobertermine für die Abholung des Gelben Sacks herunter. Welche Begriffsbestimmung von Literatur nun also auch immer zutrifft: Vorlesen kann man so ziemlich alles.
Vera Podskalsky
Der Einkaufszettel
Ohrenstäbchen
Klopapier
Naturjoghurt
und kaltes Bier
Lachsfisch
Weißkohl
Sellerie
Chipsletten
Milch
und Frostscampi
Einkaufszettel
ja und nein ?
Kann das jetzt Li – te – ra – tur sein?