Einen ganzen Tag lang Rap und Hip Hop auf einem Festival in Nürnberg – wie ist das nur auszuhalten? Eigentlich sehr gut, auch oder gerade wenn man kein Fan für konventionellen Mainstreamrap ist. Vielleicht lag es auch daran, dass ich ausnahmsweise einmal gut gelaunt war, wohl eher aber daran, dass es sich um das linksrevolutionäre und internationalistische Unspoken Words-Festival im Stadtteilzentrum Desi handelte. Denn ja, Rap kann und muss auch mal politisch sein.
Das Ganze fand am vergangenen Samstag statt und war eine riesige linksalternative Party, die Publikum aus ganz Deutschland anzog. Schon am Eingang zeigte sich, wie groß das Vertrauen ineinander ist. Gleich werden wir gefragt, ob wir Waffen dabei hätten, aber uns wird geglaubt, als wir verneinen. Den ganzen Nachmittag über und bis in die frühen Morgenstunden hinein, wird hier mit zahlreichen Künstlerinnen und Künstlern aus ganz Europa gefeiert, getrunken, getanzt und die sogenannte proletarische Kultur gehegt und gepflegt. Dieses Jahr stand das Festival vor allem im Zeichen der Euro-Krise. So waren auch Künstler aus den von der Krise gebeutelten Staaten, wie Griechenland dabei (etwa Miss Zebra und Daisy Chain), aber auch aus den Staaten, die aus der Krise profitieren, wie Deutschland und Frankreich. Zusammen ergaben sie einen internationalistischen Mix, der die herkömmlichen Sprachbarrieren, mit einem progressiv bis aggressiven Beat durchbrach. Schade nur, dass der eigentliche Star des Abends, die Queer-Feministin Sookee aus Berlin leider abgesagt hat.
Neben den zahlreichen musikalischen Darbietungen boten verschiedene Stände veganes Essen, regionales Bier an, linke T-Shirts und revolutionäre Bücher an, über Marx bis hin zu Flüchtlingsberichten, aber auch von Lenin; und die Rote Hilfe hat auch nebenbei Workshops organisiert, um politisch aktiv zu werden. Die ausgeprägte Feierlaune wurde ausgenutzt, um nicht nur einen revolutionären Duktus in der Kunst zu pflegen, sondern sich schon konkret auf künftige Aktionen vorzubereiten. So gibt es etwa Workshops zum geplanten Blockupy anlässlich der Eröffnung des neuen Gebäudes der Europäischen Zentralbank in Frankfurt am Main im Oktober. Daneben gab es auch konspirative Tipps zu Hausbesetzungen und –durchsuchungen. Leider waren diese eher mäßig frequentiert.
Zu radikal oder nicht radikal genug?
Die Stimmung war einmalig paradox – es wurde zwar ausgelassen gefeiert, irgendwie war jeder fröhlich und fühlte sich wenigstens einmal unter seinesgleichen (auch wenn ich leider nur wenige Erlanger Studenten getroffen habe), aber gleichzeitig waren sich Musiker_innen und Publikum der Ernsthaftigkeit der Lage bewusst. Unter dem Schleier der Rapparty sprach das Unspoken Words-Festival eben gerade die Themen in einer Art und Weise an, vor dem sich viele scheuen, selbst die bürgerlichen Linken. Es ging etwa um subtilen Nationalismus im Alltag, Feminismus und Gewalt gegen Frauen, dem Sparzwang unter dem neothatcheristischen TINA-Prinzip (There is no Alternative), der Organisation der Sozialrevolution im (selbstverständlich politischen) Alltag, oder den fatalen Problemen der europäischen Flüchtlingspolitik oder dem prinzipiellen Bekenntnis zur radikalen Kritik am bestehenden sozioökonomischen und –kulturellen System. So sangen etwa Kronstadt, Daisy Chain und Refpolk ihren multilingualen Song The Future is still unwritten, die all dies in einem Stück zu vereinen suchten, um eben zu dem gewollten Fazit kommen, dass sich all die Missstände noch ändern ließen – abgesehen davon, dass die Annahme einer baldigen Revolution in Europa und vor allem in Deutschland alles andere als realistisch ist. Nach dem Song erhoben sich zahlreiche Menschen aus dem Publikum, hissten einige Banner und skandieren „No border, no nation, stop deportation“ – in dieser kleinen konspirativen Runde steckt eine enorme politisch-emotionale Energie. Für einen (in gewisser Weise auch bedenklichen Massencharakter) reichte das aber noch nicht.
Das alles war ja ganz nett. Aber so erstaunlich es klingt: Das Festival zeichnete sich nicht, wie man annehmen könnte, durch zu viel radikale Energie aus, sondern eher durch zu wenig. Es ging ihnen darum an der Basis, dem Alltag den Widerstand zu organisieren und Wirtschaft, Politik und Kultur zu klistieren. Leider entstanden dadurch aber zwei Mankos: Erstens, wurde zwar kritisiert, selten auch in etwas banaler Manier, es fehlte aber ein exaktes theoretisches Gerüst. Und zweitens, ging fast keiner wirklich auf den Faktor der europäischen Demokratiedefizite oder –absenzen ein, die Radikalität drang sozusagen nicht wirklich in die Sphäre des Politischen vor, da sich die Ungerechtigkeiten des bemängelten Systems im Falle der Radikalität, sofern man diese für erstrebenswert hält, nur durch eine Änderung des politischen Systems und der Politikfelder faktisch ändern lässt. Wenn man schon eine Revolution oder andere demokratischere, radikale Transformationsformen will, dann dürfen die nicht nur sozial sein, sie wären nur auch politisch sinnvoll und wirksam. Eine Ausnahme machte da wiederum die Gruppe Radical Hype, mit ihrem allumfassend radikalen Rap.
Das Projekt DESI bietet regelmäßig musikalische Veranstaltungen jenseits des Mainstreams an. DESI befindet sich in der Brückenstraße 23, 90419 Nürnberg. Weitere Informationen gibt es unter: http://www.desi-nbg.de/cms/website.php.
Philip J. Dingeldey