
Cover zu Ostende. 1936: Sommer der Freundschaft von Volker Weidermann (Urheber und Quelle: Verlag Kiepenheuer & Witsch)
Der Ort schien fern vom Krieg und von den deutschen Ungerechtigkeiten; kein Wunder, dass sich hier, im belgischen Ostende, im Sommer zahlreiche deutsche Schriftsteller für den Urlaub einfanden. Doch 1936 waren viele von ihnen auf der Flucht und verbrachten einen fiebrig-resignativen Sommer in Ostende als Exilschriftsteller, die ums Überleben und gegen Nazideutschland kämpften. Daraus hat Volker Weidermann, der Feuilletonchef der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung ein sachkundiges, hybrides Buch geformt – Ostende. 1936: Sommer der Freundschaft.
Der wichtigste Protagonist ist zunächst der historische Biograf und Novellist Stefan Zweig, der als erfolgreicher und wohlhabender Autor schon kurz vor dem Ersten Weltkrieg im belgischen Ostende seinen Sommer verbringt und naiv glaubt, das neutrale Belgien würde in dem nahenden Krieg nicht vom Deutschen Reich angegriffen werden. Von dieser Ausgangssituation Zweigs im Sommer 1914 erweitert sich Weidermanns dünnes Buch um einige andere Literaten, die dann im Sommer 1936 ebenfalls Ostende besuchen. Angefangen beim jüdisch-österreichischen Schriftsteller Joseph Roth, der total verarmt ist, Zweig verehrt sowie glorifiziert und dafür auch von diesem finanziell unterstützt wird, über Irmgard Keun, die Zweig für einen idealistisch-naiven Gutmenschen hält – was angesichts dessen vor Pathos triefenden Buches Sternstunden der Menschheit nur allzu verständlich ist – und mit Roth eine vom Alkohol forcierte Beziehung beginnt. Doch auch der marxistische Autor Ernst Toller und einige andere Schriftsteller kommen vor, spielen aber eine bestenfalls marginale Rolle.
Die Beschreibung der Freundschaften zwischen den Autoren, die im fernen Belgien versuchen zu schreiben, ihre Bücher an Exil- oder österreichische Verlage bringen wollen, sich gegenseitig redigieren und unterstützen und der unterschiedliche Umgang mit dem Dritten Reich sind das abstrakte Zentrum des Sachbuches: Stefan Zweig versucht der moderate Gutbürger zu sein, der mit historischen Portraits sich an der gegenwärtigen Politik abarbeitet; Keun, die sich einst mit dem Propagandaministerium anlegte, will direkt und hart gegen Deutschland schreiben; und Roth ist nicht nur unendlich traurig, sondern auch ein grandioser Hasser, nicht geschaffen für die sommerliche Idylle, der kaum überleben kann und dem alle Felle wegschwimmen. Obgleich ergo der zentrale Protagonist Stefan Zweig ist, so handelt es sich bei der Beschreibung von Joseph Roth, den man eher als moderaten religiös-konservativen Schriftsteller bislang kannte, um die wohl beste und detaillierteste Protraitierung, die Weidermann liefert, so dass einem der unglückliche, vor Hass zerfressene Roth überaus sympathisch wird.
Der einfühlsame Experte
Weidermann ist nicht nur ein Experte für die in Deutschland verbrannten Bücher und ihren Autoren, was er auch schon in anderen Publikationen demonstrierte, sondern auch ein sehr guter Stilist – sein Buch ist nämlich kein reines Sachbuch, nein, es ist eine wilde Mixtur, ein Hybrid aus literarischer Novelle und Sachbuch. Seine Narration ist sehr atmosphärisch, subjektiv und sensibel. Im literarischen und gut verständlichen Stil referiert er in meist kurzen Kapiteln über den „Sommer der Freundschaft“. Er orientiert sich jedoch an den historischen Fakten und liefert höchstens Zitate, wenn es sich dabei um literarische Werke, Tagebucheinträge oder Briefe handelt, also Dinge, die die Schriftsteller tatsächlich schrieben oder sagten. Ansonsten erscheint das Büchlein wie eine Novelle, die sich nicht nur an den historischen Vorbildern orientiert, sondern die geschichtliche Realität adäquat wiedergibt.
Die Nürnberger Nachrichten schrieben in ihrer Rezension über das Buch, man (wer auch immer dies sein mag) wünsche sich fast, Weidermann hätte daraus einen dicken Roman kreiert. Das ist zwar ein freundlicher Satz, aber verfehlt den Kern von Ostende. 1936: Sommer der Freundschaft. Denn mit diesem Buch gelang Weidermann ein sehr angebrachter Drahtseilakt, und zu welchem Schriftsteller würde ein solcher Hybrid über Freundschaften denn sonst passen, wenn nicht zu Stefan Zweig, der so oft mit historischen Biographien und Portraits novellistische Werke für die Gegenwart schuf?! Denn gerade durch diese novellistisch-historische Narration entpuppt sich Weidermann abermals als einfühlsamer Experte der Exilliteratur.
Volker Weidermann: Ostende. 1936: Sommer der Freundschaft, Verlag Kiepenheuer und Witsch, Köln 2014. Gebunden, 160 Seiten, 17,99 Euro. Weitere Informationen gibt es unter: http://www.kiwi-verlag.de/buch/ostende/978-3-462-04600-7/