Ich habe einen Virus auf meinem Handy, also eher in meinem Kopf, genau genommen in meinen Gedanken, den habe ich aber nicht erst seit dem ich das Stück Die Agonie und Ekstase des Steve Jobs des Theaters Tiefrot und des Nö-Theaters gesehen habe.
Es ist eine Ein-Mann-Erzählung eines smarter Kerls in grünem Hemd, der aber nicht einfach nur erzählt, sondern das Publikum durch seine pantomimischen Gesten in seinen Bann zieht. Er spielt die Figur Mike Daisy, einen bekennenden Apple-Fan, genauer ein „Appleptiker“, der gerne böse Sprüche gegen Microsoft, Linux und sonst jegliche Betriebssysteme raushaut.
Mike findet auf seinem neu gekauften iPhone einige Fotos, die wohl zum Test in einer Fabrik gemacht wurden. Das lässt ihn ins Grübeln kommen, ob auf jedem iPhone von Hand gemachte Testfotos sind und wer diese Fotos wohl schießt. Er begibt sich nach Shenzhen in China, um sich in den Foxconn-Werken selbst ein Bild über die Herstellung unserer Elektrogeräte zu bilden. Parallel erzählt er die Geschichte von Steve Jobs, was für eine Visionär er ist, mit wem er zusammenarbeitet und wie seine Karriere abläuft.
Eine bemerkenswerte Verbindung von trauriger Wahrheit und witziger Erzählung, von Menschenunwürdigkeiten und technologischen Meisterwerken. Dem Schauspieler Patrice Welzbacher gelingt es als Figur des Erzählers Mike Daisy, die verschiedensten Personen darzustellen. Dabei ist jede durch bestimmte Besonderheiten gekennzeichnet. So tänzelt Steve Jobs immer aufrecht vor sich hin, während er die Leute in Genies und totale Vollidioten unterteilt. Die Chinesisch-Dolmetscherin steht etwas buckelig da und schiebt sich ständig die Brille auf die Nase. Teilweise werden auch Gedanken des Mike Daisy gezeigt, ohne dabei aber den Zuschauer zwischen allen den Ebenen und Figuren zu verwirren.
Als sich am Ende Mike Daisy fürchterlich hineinsteigert und erklärt, wen er alles getroffen und für seine Recherchen befragt hat, ist es plötzlich, als würde er sich von einem Schock erholen. Der Schauspieler wechselt seine Körperhaltung und spricht mit ruhigem Stand und fester, neutraler Stimme – es handelt sich hierbei anscheinend um keine Figur, sondern eine Art Meta-Kommentar –, dass Mike Daisy nur ein Geschichtenerzähler ist, dass es sich hier also nicht um Fakten handelt. Aber dass wir alle wissen, dass diese Bedingungen in Shenzhen herrschen und er nun uns alle mit dem Virus des Wissens nochmals infiziert hat.
So wurde auch vor Beginn der Vorstellung vom Lichttechniker darauf hingewiesen, dass der der Theateraufführung zu Grunde liegende Text schon eine Mischung aus Fakten und Fiktion sei. Diese Skepsis wird im Monolog immer wieder durch Zahlendreher (so sind es vier, dann wieder fünf und dann doch wieder vier Fotos auf seinem iPhone) erzegut; an einer anderen Stelle beschreibt Daisy, er habe ein Interview mit einem Fabrikarbeiter geführt, der nach einer 34-Stunden-Schicht verstorben war, und er „wünschte das wäre gelogen“.
Aber wie er es selbst schon sagt, wir wissen im Grunde ja alles schon. Ja, Apple ist böse! Elektrogeräte, die in China produziert werden, sind böse! Die Aufführung ist ein Virus! – Wir haben es kapiert! Aber was sonst noch? Denn das wissen wir ja schon. Sollen wir einfach mal wieder mit dieser Problematik konfrontiert werden? Sollen wir nach Lösungen suchen? Aber es ist, wie Daisy am Ende sagt: Wir versuchen einfach zu vergessen, dass es eben so ist.
Franziska Rachinsky