Wie fängst du an? Das war eine der Fragen, die die Gruppe „Berlocken“ auf der Bühne stellte. Freilich ohne eine Antwort zu geben, denn die muss ja der jeweiligen Situation entsprechend ausfallen. In diesem Fall könnte man etwas zum Bühnenaufbau sagen. Auf einer kreisrunden, weißen Fläche bewegen sich die drei Performerinnen Mariel Brütting, Felicia Theuss und Laura Hagemann.
Sie sind weiß gekleidet und an bestimmten Stellen gut ausgepolstert. Nach einer tänzerischen Annäherung aneinander und an drei große Holzrahmen, die von Klarinettenspiel begleitet wird, stellen sich die Performerinnen auf und sprechen Frageworte. Was, wie, warum, wo? In unterschiedlichen Tonlagen und Geschwindigkeiten werden diese Worte immer weiter wiederholt. Kurz darauf werden diese Fragen dann konkretisiert: Woher kommen deine Ideen? Die „Form der Frage“ – so auch der Titel der Performance – wird allerdings ausgeweitet, zur relativ offenen Form der W-Frage, gesellen sich sehr spezifische Entscheidungsfragen: Wählst du eine Lösung oder unterscheidest du mehrere Möglichkeiten? Oder auch Hybride: Was kommt zuerst? Form oder Inhalt?
Im weiteren Verlauf nimmt die Absurdität der Fragen zu, der formale Aspekt tritt in den Vordergrund:
„Denken oder Handeln? Nüsse oder Mandeln? Essen oder Trinken? Parma oder Schinken?“
Wie soll man sich da entscheiden? Wo doch Mandeln Nüsse sind und Schinken aus Parma und Essen und Trinken doch irgendwie beides ganz wichtig. Und nicht auszudenken, man würde sich auf das Denken oder Handeln beschränken. Spätestens hier wird deutlich markiert, dass es nicht um mögliche Antworten geht. In den gewitzten Reimen zeigt sich, dass das Stück vielmehr vom Austarieren handelt, vom Gleichgewicht. Auch vom komplexen Zusammenhang zwischen Spiel und Wettstreit.
Wie ein Zusammenspiel in einen Wettstreit ausufern kann oder wie sich ein Wettstreit in ein harmonisches Miteinander verwandelt wird auch visuell sehr anschaulich präsentiert. Die Rahmen der Darstellerinnen sind zu einem Dreieck zusammengesteckt, das nun auf alle erdenklichen Arten bespielt wird. Auch hier bilden sich Gleichgewichte, die wieder in sich zusammenfallen und neuen Formen und Figuren Raum geben. An einer Stelle etwa spielt eine Performerin auf einer Kante des Dreiecks Geige und die anderen beiden, die zunächst zuhören, heben auf ihrer Seite jeweils die Konstruktion an, um die Geigerin herunter zu befördern. Erst als sie schließlich gemeinsam nur eine Seite anheben, gelingt es ihnen, das Gleichgewicht zu stören.
Was hat nun aber diese faszinierend vielseitige Konstruktion mit der „Form der Frage“ zu tun? Fragen erlauben uns, Informationen über unsere räumliche und zeitliche Verortung zu erlangen. Fragen sind moralische Instrumente, indem sie Antworten nach dem rechten Handeln provozieren („Was soll ich tun?“). Fragen sind aber auch alltägliche Orientierungshilfen („Wo steht mein Fahrrad?“). Und trotzdem bleibt die Frage immer höchst fragil, weil sie dem Wesentlichen vorangeht. Sie wird mit der Antwort uninteressant. Die Antwort allerdings wirft meist neue Fragen auf.
„Berlocken“ gelingt mit ihren Annäherungen, die Konstruktion und Destruktion von Sinnbezügen überzeugend in Szene zu setzen. In der Freilegung des Fragens wird deutlich, wie viel die Frage über den Fragesteller aussagt, wie viel man wissen kann, ohne eine Antwort zu kennen. So ergeht es auch den Performerinnen auf der Bühne, die die Dreieckskonstruktion bespielen, sie auf ihre Möglichkeiten hin befragen – ohne letztlich eine Deutung vorlegen zu wollen. Stattdessen darf sich das Gerüst am Ende mit den dreien verbeugen.
Timo Sestu
Erschienen in SPOTS, der Festivalzeitschrift von Arena… der jungen Künste.