In der Einheitsbox

Foto: Andreas Donders

Foto: Andreas Donders

Drei Holzkästen. Schummrig-grünliches Licht fällt darauf. Jeweils eine Seite der Kisten ist schablonenhaft in Form einer menschlichen Silhouette ausgeschnitten. Darin eingepfercht: Verdrehte, verschobene Körper, ein Mensch, der nicht so recht in diesen Kasten, in diese Umrisse passen will. Und den Ausbruch aus den Zwängen sucht. Sind die drei gefangen in Stereotypen, als Ausstieg nur ein Nullachtfünfzehn-Ausschnitt eines menschlichen maskenhaften Einheitskörpers? Hinter dem sich die individuellen Züge, das Besondere, Einzigartige des Einzelnen verbirgt?

Zum Auftakt geht es im Markgrafentheater jedenfalls skurril-schrullig zu. Das Arena-Festival startet mit Ohne Bein mit Socken, der zweiten Eigenproduktion des Kollektivs SAPTA (Swiss Association of Physical Theater Actors), nachdem sie bereits letztes Jahr mit der Performance Anomalia zu Gast in Erlangen waren.

SAPTA möchte einen Blick hinter die nach außen hin uniformierten Menschen werfen. Theoretische Grundlage sind die Forschungen des britischen Neurologen und Schriftstellers Oliver Sacks, der unter anderem den Zustand beziehungsweise den Begriff der Normalität grundsätzlich infrage stellt, sowie die These vertritt, die Realität spiele sich nur im Kopf ab. Letztlich beschäftigt Sacks die Frage, was die Persönlichkeit des Menschen ausmacht, wo man das Ich verortet, woraus es sich zusammensetzt, wenn jeder seine ganz eigene Realität wahrnimmt.

Daraus zimmert das Kollektiv einen Theaterabend, bei dem es thematisch und in der Kohärenz bedrohlich knackst im Gebälk. Heraufbeschworen wird da eine surreale, verrückte Welt, mit befremdlichen Wesen, die nichts anderes zu tun haben, als ihren Ticks, Marotten, ihren zwanghaften Psychosen nachzuhängen und diese ausgiebig auszuleben. So weit, so gut. Dass die Drei in den zweckentfremdeten Gegenständen etwas vollkommen anderes sehen, ihre Umgebung entrückt wahrnehmen, genauso wie sich selbst, ist ebenfalls unübersehbar: Eine Gabel wird kurzerhand zum Kamm, die Kleidung samt menschlichem Inhalt gebügelt.

Die Darsteller erschrecken, erstaunen über sich, ihre eigene Körperlichkeit, in der sie drin stecken. Sie sind sich selbst suspekt. Das pantomimenhafte Spiel wird nur selten von kurzen schweizerdeutschen Satzeinwürfen durchbrochen. Die Performance spielt mit Erwartungen der Zuschauer, sie geben Sinn zu verstehen und nehmen ihn im nächsten Moment wieder weg. Denn so recht entscheiden kann sich SAPTA anscheinend nicht, in welchen thematischen Rahmen das alles verpackt werden soll. Der Abend kippt von der Darstellung eines Tagesablaufes samt morgendlichen Ritualen über eine Liebesgeschichte mit Verstoßener, die, von ihm verschmäht, einem Apfel verfällt, in Intermezzi mit hutgesichtigen Spionagefilm-Entstiegenen, bis zu einem Stromschlag, der keinerlei sichtbare Folgen nach sich zieht, außer, dass der Darsteller steifen Schrittes im Seiten-Off verschwindet.

Was das jetzt alles mit den Äpfeln zu tun hat… vielleicht eine versteckte paradiesische Botschaft, oder lässt gar Wilhelm Tell grüßen? Überbordende Anspielungen, abrupte Themenwechsel, die in völliger Verwirrung und Verstörung landen – ein roter Faden wäre hilfreich.

Zur Absicherung muss gegen Ende der Aufführung, wenn alle drei wieder brav in ihre Einheitsbox-Ummantelungen gezwängt sind, ein eingespielter Kommentar über Gesundheit und Krankheit der Menschen herhalten. Ein überdeutlicher Wink mit dem Zaunpfahl, wie man das Erlebte denn nun zu deuten und zu interpretieren hätte. Doch das verschafft dem Abend auch keine Linderung mehr von dieser psychodelischen Ekstase. So werden wir letztlich sogar ebenfalls in eine uniformierte, normierte Interpretationskiste gesteckt, gegen die doch eigentlich so vehement angespielt wurde.

 Karolin Berg

Erschienen in SPOTS, der Festivalzeitung von Arena… der jungen Künste.

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