Geschrieben von unserem Redaktionsmitglied Uta Hoess
Unter diesem Titel stellt das Kunstpalais Erlangen erstmals Werke der eigenen Städtischen Sammlung vor. Wer nun denkt, dass diese Sammlung sehr klein sein müsse (schließlich sind wir ja „nur“ in Erlangen) der wird überrascht sein. Die Sammlung umfasst 4.500 Kunstwerke und spiegelt die Vielfalt zeitgenössischer Grafik wider. Für die Ausstellung Re: Collect werden ausgewählte Werke gegenübergestellt, um der Frage nachzugehen, welche Themen und Diskussionen aus der zweiten Hälfte des Jahrhunderts noch heute von Bedeutung sind.
Ich begebe mich am Sonntag, dem 29. Juni 2014, in die Räume des Kunstpalais. Spuren der Eröffnungsfeierlichkeiten vom Freitag sind nicht mehr sichtbar. Dabei hätte dieser Gegensatz – ein aufgeräumtes Museum und Überbleibsel einer Party – sich gut in das Konzept der Ausstellung eingefügt.
Im ersten Ausstellungsraum stehen Arbeiten von Joseph Beuys und Nasan Tur einander gegenüber. Beuys tritt in Kunst=Kapital dem Betrachter in einem überlebensgroßen Foto in aufrechtem Gang entgegen. Er wirkt dabei auffordernd, scheint seine Ansprüche an die menschliche Kreativität damit zu unterstreichen: „Kunst ist die einzige revolutionäre Kraft.“ Und ergänzt: „Revolution sind wir.“
Tur hingegen arbeitet die ökonomische Bedeutung von Kunst heraus: Kunst funktioniert als sichere Wertanlage. Seine Variationen von Kapital, eine unglaubliche Idee, will die 41.000 möglichen Buchstabenkombinationen aus dem Wort Kapital darstellen.
Im Nebenraum erwartet mich eine Videoinstallation von Christian Jankowski, die mich sofort innehalten lässt. Zwei Teleshopping-Moderatoren bieten im Kunstmarkt TV Kunstwerke zum Verkauf an. Typische Musik und einstudierte Bewegungs- und Verkaufsfloskeln unterstreichen den Warenwert Kunst. Ich bin irgendwie irritiert und denke mir: Ist der Wert von Kunst an sich messbar oder bezahlbar? Gegenüber setzt sich Marcel Broodthaers in Museum-Museum mit dem Thema auseinander, die öffentliche Institution Museum als zentralen Ort zur Definition eines Kunstwerkes zu hinterfragen.
Ich gehe weiter und stoße auf Werke von Eugen Gomringer, der den Begriff Konkrete Poesie prägte. Fünfzehn Gedichte hängen gerahmt an der Wand. Ich lese, denke nach und lächle. Es entstehen reale Wechselbilder von Bild und Text und Schrift. Dieses Thema finde ich ebenso in Natalie Czechs Arbeiten. Sie verwendet Ausschnitte einer Magazinseite, auf denen ein Interview mit Robert Longo und Bilder aus einer seiner Serien abgebildet sind. Sie hebt Buchstaben, Silben und Satzzeichen graphisch hervor, so dass sich neue greifbare Bilder dem Betrachter erschließen.
Die Videoinstallation urban tai chi ist im Nebenraum beherbergt. Ulf Aminde greift darin die Motive von Longos tänzerisch verrenkten Körpern im öffentlichen Stadtraum auf. Körper zwischen Stehen und Fallen, Schlaf und Wachsein. Zwischen Leben und Tod. Besonders beeindruckt mich die Idee des Einsatzes unterschiedlicher Videolängen. Dadurch verschieben sich die Anfangszeiten der Wiederholungen und immer neue Zusammenstellungen der einzelnen Sequenzen werden dem Betrachter präsentiert.
Ich bummle weiter. Im letzten Raum des Erdgeschosses konfrontieren Andy Warhol und Nan Goldin den Betrachter mit dem Thema Tod und Sterben. Während Warhol die gesellschaftliche Dimension des Tötens in den Vordergrund stellt, berührt Goldin die persönliche Seite dieses Themas. In Sequences Portfolio ruht ein Säugling auf dem Schoß der Mutter. Dem gegenüber werden die letzten Lebenstage von Alf Fold dokumentiert. Aufnahmen zweier Lebender, an einem Tag. Die Richtung und Dauer ihrer Lebenswege könnten nicht gegensätzlicher sein. Warhols Electric chairs, dessen Vorlage ein Zeitungsfoto war, wird vervielfältigt und in Farbe getaucht. Ich höre die Worte aus dem Audioguide: „Der Tod wird zum anonymen, beliebigen Massenspektakel.“ Dies war der letzte Raum des Erdgeschosses. Der Weg durch das Treppenhaus und die Stille des Untergeschosses verschaffen Ruhe zum Nachdenken.
Im Untergeschoss betrachte ich Eva Kotàkovas Education System. Collagen stehen auf Regalbrettern und hängen an der Wand in geordneter Unregelmäßigkeit. In den sehr unterschiedlichen Kleinbildern entdecke ich viele Details, Metapher und soziale Kritik. Ihrer Bearbeitung des Anspruches auf Selbstständigkeit und dem Hinweis auf soziale Normierung kann ich folgen. Bild für Bild.
Der nächste Raum beherbergt die Arbeiten von Hanne Darboven. Sie befassen sich mit der Wechselwirkung von Musik, Klang und Bildern. Darboven bearbeitet Zahlensysteme und versucht, diese in Noten abzubilden. Ihr Ziel ist, die Zeit abspielbar, sichtbar darzustellen. Janet Cardiff und Georges Bures Miler lassen mich in The cabinet of Curiosness zum Teil des Kunstwerkes werden. Ich öffne Schubladen eines alten Zettelkastens und komponiere aus Möwengeschrei, Ariengesängen und dem sanften Vorlesen einer Frau neue Lebensmelodien.
Im Nebenraum erlebe ich die Darstellung der Gegensätze und Gemeinsamkeiten von Kunst und Wissenschaft. Robert Fillow setzt mit Erforschung des Ursprungs auf instinktives Verstehen und erschafft dafür eigene Zeichen- und Erklärungssysteme. Camilie Henrot lädt ein mit der Sound-Bild-Collage The Strife of Love in a Dream, die Doppeldeutigkeit von Symbolen kulturübergreifend zu hinterfragen. Diesen Beitrag ist sehenswert.
Ich finde, der Kuratorin Ina Neddermeyer ist eine lebendige und anregende Ausstellung gelungen. Diese besticht durch Gesamtkonzeption und die Vielfältigkeit der Exponate. Besonders gefallen hat mir die sehr überlegte Anordnung der Werke. Während meines Besuches traf ich auf Jugendliche, junge und ältere Erwachsene. Keiner von ihnen sah gelangweilt aus.
Öffnungszeiten: Dienstags bis Sonntags von 10.00 Uhr bis 18.00 Uhr, Mittwoch 10.00 Uhr bis 20 Uhr
Führungen finden mittwochs um 18.00 Uhr und sonntags um 16.00Uhr statt. Ich kann Euch aber auch die Benutzung der bereitgelegten Audioguides empfehlen. Dort könnt Ihr noch mehr über alle (!) ausgestellten Werke und deren Künstler erfahren.
Einen Katalog oder Postkarten gibt es leider nicht für diese Ausstellung. Jedoch sind einige der Werke in dem im Verkaufsraum ausliegenden Buch „100 Meisterwerke zeitgenössischer Druckwerke“ von Hans Dickel, Lisa Puyplat und Karl Manfred Fischer enthalten.
Die Ausstellung findet noch bis zum 31.08.2014 statt.
Kontakt und weitere Informationen: www.kunstpalais.de
Uta Hoess
Künst-l’art…
… mögen, was man nicht darf
kunsT ist das,
was man brauchT
muss
kann
will
soll
vielen Dank für diese fein dokumentierte Führung durch die Räume der Ausstellung Re: Collect. Comme si on y était, votre article résume bien l’exposition et met en appétit le futur visiteur.