Als die frühe Römische Republik wieder einmal von Unruhen heimgesucht wurde, ernannten die Römer – wie es das politische System vorsah – einen Diktatoren, und, so die Erzählung, dies sei ein Cincinnatus gewesen, der die Republik abermals stabilisierte und sich danach als Bauer zurückzog. Darum hat sich Edward Snowden, den wir bei re>flex als Volkshelden tituliert haben, auch diesen Namen als Pseudonym zugelegt, als er erstmals in Kontakt mit Glenn Greenwald trat und schließlich später mit diesem den NSA-Skandal aufdeckte. Der freie Journalist und Anwalt Greenwald hat nun ein Buch über Snowden, die NSA und die amerikanischen Medien und Politiker geschrieben – Die globale Überwachung.
Greenwald gilt schon lange als Experte für staatliche Überwachung, hat schon zahlreiche Artikel und zwei Bücher dazu geschrieben, doch durch Snowden hat er erst überragenden Ruhm und lebensgefährliche Bedrohungen erreicht sowie einen beachtlichen Dienst an der Öffentlichkeit geleistet. Wie genau er mit Snowden in Kontakt trat, was, wie aufgedeckt wurde und welche Motivationen der Whistleblower hatte, berichtet der Journalist in seinem neuen Sachbuch.
Das Buch ist sehr heterogen, um nicht zu sagen, eine wüste Mixtur. Vor allem zu Beginn sind die autobiographischen Elemente sehr präsent. Er schildert, wie Snowden ihn unter den Namen Cininnatus kontaktierte, Greenwald zunächst nicht reagierte und sich weigerte, Sicherheitsprogramme gegen Überwachung zu installieren, ohne die Snowden nicht mit ihm kommunizieren wollte, wie er schließlich doch über eine Kollegin mit dem Whistleblower in Kontakt trat sowie in Hongkong traf, wie sie die Unmengen an Daten auswerteten, Artikel und Videos produzierten und schließlich an die Öffentlichkeit brachten.
Besonders stark in diesem Teil des Buches sind primär zwei Aspekte vertreten: Zum einen handelt es sich dabei um eine wütende Abrechnung mit der Mainstreampresse. Dabei beschwert Greenwald sich vor allem über Blätter wie die Washington Post oder die New York Times, die alles Investigative verloren hätten, da sie solch brisantes politisches Material immer erst der Regierung zum Absegnen vorlegen würden und dadurch die Unabhängigkeit des Journalismus gefährden würden. Gemischte Gefühle hat er gegenüber dem „Guardian“, der aber schließlich sich dazu überwand, die Erkenntnisse und Dokumente von Snowden entgegen den Willen des Weißen Hauses zu publizieren. Darüber kommt Greenwald zu dem Problem, dass viele ihn nicht als Journalisten ansahen und wie er neuen, independenten Journalismus definiert.
Der zweite wichtige Part dieses Buchabschnittes ist die Betonung von Snowdens Courage und seiner Motivation. Snowden, der uneigennützig die globale, verfassungsfeindliche und menschenrechtswidrige Überwachung durch die National Security Agency (NSA), aber auch dem britischen Geheimdienst, aufdeckte; nicht weil er sich einen privaten Profit versprach – wie etwa die imperialistischen USA behaupteten, die ihn als russischen und chinesischen Agenten titulierten -, sondern weil er empört war, über diese politische Praxis, die sich nahtlos in die anderen unzähligen Verbrechen der USA im vermeintlichen War on Terror einreiht, wie Folter, Diskriminierung, Mord oder angeblich humanitären Interventionen.
Neo oder Cincinnatus?
Greenwald berichtet auch, wie er sich nach der Veröffentlichung mit den Medien auseinandersetzen musste, wie die Hetze gegen Snowden begann, der ja illegal Geheimmaterial publiziert hatte und deswegen Hochverrat begangen habe. Greenwald ist fähig, sowohl dieses Argument mit den Menschenrechtsverstößen der USA und der Zivilcourage Snowdens zu widerlegen, genauso wie das Argument der Sicherheit, der die Überwachung diene, da das Recht auf Privatsphäre wegen einer minimalen Terrorgefahr unterminiert werden.
Schon wesentlich komplexer, sachlicher und unpersönlicher ist der zweite Teil des Buches. Er erläutert mit allerlei Graphiken und Akronymen das technische Vorgehen und die Ausmaße von PRISM und anderen Programmen, mit denen die NSA agiert. Für einen Laien jedoch ist dieser Part sehr schwer zu verstehen und nachzuvollziehen. Jedem jedoch muss das Ausmaß und die Dreistigkeit der USA das eigene Volk, andere Völker, Industrien und Regierungschefs abzuhören, erschrecken und schockieren. Noch empörender sind höchstens die arroganten und autoritären Ausreden, wie es diene der Sicherheit und schade nicht denen, die etwas zu verbergen hätten, oder Lügen, die Regierung des Friedensnobelpreisträgers Obama hätte davon nichts gewusst, dass sie quantitativ mehr überwache, als alle vorherigen amerikanischen Regierungen zusammen.
Bei Die globale Überwachung handelt es sich ergo um eines der wichtigsten Bücher zur Überwachung, wenn nicht gar eines der wichtigsten Sachbücher der letzten Jahre überhaupt. Auf dem Cover der deutschen Ausgabe dieses zwar meist der subjektiven, aber sehr sachkundigen und empfehlenswerten Quellenberichts ist eine grüne Matrix zu sehen, wie aus dem gleichnamigen Film. Ist Snowden also eine Art auserwählter Neo, der die Menschen von der Matrix und der digitalen Kontrolle befreit und unter steter Lebensgefahr und Konspiration gegen die hyperstarken Maschinen kämpft? Nun, das Cover ist diesbezüglich wohl etwas verfehlt. Snowden ist kein metaphysisch Auserwählter; er ist ein schlichter, junger Mann, der autonom entschied, diesen mutigen und heldenhaften Schritt zu gehen, der keine Superkräfte hat, der ständig Angst haben muss, und der von den deutschen politischen Institutionen keine adäquate Unterstützung erhält – weshalb er auch dem NSA-Ausschuss des Bundestages keine weiteren Informationen geben will. Snowden ist kein Neo, aber er ist auch kein Cincinnatus, der sich nach seinem Dienst an der Polis, am Gemeinwohl, in den privaten Oikos zurückziehen und dort sein Leben führen kann – nein, er wird wohl nie mehr beruhigt leben können. Derweil werden der Rechtsstaat weiter ausgehöhlt und die Intimsphäre ad absurdum geführt, sodass der Homo Novus schließlich derjenige private Mensch ist, der voll transparent ist, während sich die originär öffentliche Politik und Wirtschaft in Geheimhaltung hüllen dürfen.
Glenn Greenwald: Die globale Überwachung. Der Fall Snowden, die amerikanischen Geheimdienste und die Folgen, Droemer Verlag, München 2014. Gebunden, 368 Seiten, 19,99 Euro. Weitere Infos unter: http://www.droemer-knaur.de/buch/7943698/die-globale-ueberwachung#
Philip J. Dingeldey