Ins Netz gegangen

Scharf angeschossen - Fußball auf dem Feld der Ehre (Foto: Awaya Legends https://www.flickr.com/photos/awaya/2717850130/sizes/m/in/photostream/)

Scharf angeschossen – Fußball auf dem Feld der Ehre (Foto: Awaya Legends https://www.flickr.com/photos/awaya/2717850130/sizes/m/in/photostream/)

Da ging es aber ganz schön ab, die letzten Tage in unserem re>flex-Magazin. Vor zwei Tagen veröffentlichte ich meinem Essay Faschistoider Fußball. Das hat in unserem Magazin erfreulicherweise eine hitzige, öffentliche Diskussion ausgelöst. Denn die provokante These des Artikels war, dass das Phänomen Fußball faschistoide Elemente aufweist, was ich primär belegt habe, anhand der Faktoren Patriotismus, gekoppelt mit einem Hypernationalismus, und totalitären Zügen durch den Massencharakter, der Abslouheit des Fußballs und dem sakralen Warenfetisch, der um das Produkt herum generiert wird. Widerspruch ist da ja eigentlich schon vorprogrammiert. Eine Erwiderung von Philip J. Dingeldey

Es begann mit Andreas Pommers Vorstellung seines neuen Theaterstückes Das ist Fußball in der Studiobühne Erlangen. Sein Grundtenor war gut nachzuvollziehen: Er wies nämlich nach, dass Fußball für ihn viel mehr ist, als die von mir angesprochene Problematik, dass dieser Sport sehr viele Leidenschaften und Emotionen wecken könne. All dies ist richtig und trifft auf ein Gros der deutschen Bevölkerung zu – ich will auch niemandem die Freude an einem Mannschaftssport nehmen. Nur gerade darin liegt das Problem: Niemand hat gesagt, dass sich die faschistoiden Elemente explizit äußern würden, nein, vielmehr besteht in dieser Leidenschaft dann eine Gefahr zum Faschistoiden, wenn sie mit den von mir genannten Faktoren gekoppelt wird. Passiert dies nicht, so handelt es sich um eine schöne Leidenschaft zum Sport, so wie sie etwa Andreas Pommer auslebt. Das ist aber nur noch schwer möglich.

Deutlich detaillierter und härter – und leider in einer belehrenden bis überheblichen Manier – war die Kritik von Dennis Dreher in seiner jüngsten Antwort Eigentor. Hier wird moniert, ich wüsste nicht, wovon ich reden würde oder dies zumindest nicht zeigen würde, weil ich etwa ein falsches Bild vom Totalitarismus habe, die WM 2006 nicht nationalistisch gewesen und die Nationalhymne freiheitlich-demokratisch sei. Im Namen des re>flex-Magazins hat Dennis sich sogar von meinem Essay distanziert – und in der Tat vertrete ich diese Position zum Fußball als freies schreibendes Individuum. Es scheint aber, als hätten die provokanten Thesen den Ball mitten ins Netz der Nerven geschossen! (Nur um auch ein einziges Mal eine Fußballmetapher zu gebrauchen – doch jetzt wollen wir uns von solchen seichten Gefilden wieder verabschieden)

Der Ausgangspunkt für beide Antworten war, dass Fußball tatsächlich viele der genannten Probleme aufweise, das aber nicht alles sei. Dennis hat darauf aufbauend die These aufgestellt, dass es sich dabi um einige Extreme handele, die von der Norm abwichen, wie beispielsweise Hooligans. Auch wenn man wohl bezüglich der Beziehung vom normalen Fan zum Hooligan dieser Meinung zustimmen kann, so ist sie doch prinzipiell eine typische Ausrede, wenn in einem System starke Mängel aufgezeigt werden: Es werden ein paar böse Ausnahmen, ein paar schwarze Schafe fixiert und dann, wie gehabt, mit der Tagesordnung fortgefahren. Das ist natürlich zu kurz gegriffen. Denn zwar gibt es diese Extremisten im Fußball, die gewalttätig sind und die – zum Glück – (noch?) eine Minorität sind. Doch darum ging es in Faschistoider Fußball gar nicht. Es ging auch nicht darum, alle Fußballfans als Nazis zu deklarieren – auch wenn der Terminus Fan von Fanatiker kommt.

Es geht um den wiederaufkeimenden Nationalismus, etwa durch die Demonstration von Flaggen. Ich will gar nicht Dennis´ Erlebnisse bestreiten, dass die WM 2006 in Deutschland höchst erfolgreich war, da sich Deutschland als guter Gastgeber gebar und auch die ausländischen Besucher mehrheitlich freundlich behandelte. Dies wurde ja auch bereits in dem Essay erwähnt und zugestanden. Aber was daraus resultiert, ist die Zurschaustellung der Flagge und der übermäßige Stolz zu einer vermeintlichen Nation – und das hat einen sehr negativen und bedenklichen Beigeschmack. Denn wie der Fußballer einen Gegner braucht, braucht das ausgediente Modell der Nation einen Feind oder eine Bedrohung, die sich auch personifizieren lässt – Bedrohungen oder Feinde, die das, was nicht zusammengehört, zusammenwachsen lassen. Im Übrigen ist es nicht nachzuvollziehbar, wieso Dennis zwar den Nationalismus durchaus kritisch gegenüber steht, aber komischer Weise die Nationalhymne in Fußballstadien als akzeptabel einstuft. Die Gefahr der Hymne, darauf ist zu beharren, und das belegt auch Dennis´ Zitat aus der dritten, einzig legalen Stophe eines ansonsten noch viel nationalistischeren Lied, dass die Werte Recht und Freiheit auf das Vaterland bezogen werden (sie sind eben für das „deutsche Vaterland“, ergo nicht universell, wie etwa die Werte der Französischen Revolution, auf die Dennis sich zumindest in einer Zwischenüberschrift beruft.

Die Verachtung der Massen

Welche Gefahr – um einen kurzen Exkurs einzuschieben – harmlose Lieder, die in der Masse gesungen werden und einer Gruppe zu einem neuen Stolz und Einheitsbewusstsein verhelfen – unabhängig, wie banal letztendlich deren Inhalt ist -, zeigt eine Szene aus dem grandiosen Film Cabaret mit Liza Minelli in der Hauptrolle: Auf einem Landausflug erleben die beiden bisexuellen Protagonisten dort, wie ein Hitlerjunge Der morgige Tag ist mein singt, und mit diesem schwachsinnigen Lied ein ganzes Restaurant dazu bringt, mitzusingen – Hitlergruß freilich inbegriffen.

Und jetzt den rechten Arm heben? (Quelle: Wikimedia Commo9ns/ KleinerWeltenbummler).

Und jetzt den rechten Arm heben? (Quelle: Wikimedia Commo9ns/ KleinerWeltenbummler).

Am heftigsten diskutiert wurde die These Fußball weise totalitäre Elemente auf. Hier wurde mit vorgeworfen, ich würde politische Konzepte und Terminologien nicht richtig einordnen … eine schwere und ebenso unhaltbare Anschuldigung. Natürlich ist mir bewusst, dass ein Totalitarismus – was nicht absolut identisch mit totalitären Elementen ist – ein Herrschaftssystem ist, ein System, dass auf eine Führungsfigur ausgerichtet ist. In der Tat werden die Fans nicht unmittelbar von einem Führer aufgefordert, sich nicht als Individuen wahrzunehmen, an dem Massencharakter zu partizipieren und darin aufzugehen, ohne autark zu handeln, obgleich sie etwa auf Befehl aufstehen und die Hymne singen, ob im Stadion oder beim Public Viewing. Nein, einen Führer gibt es nicht, aber, ähnlich wie bei Orwells 1984 mit dem Großen Bruder, Idole, ja, Superstars, wegen denen man das Stadion besucht, die nicht selten angebetet werden, forciert durch den sakralen Warenfetisch, von deren unverhältnismäßigen Gehältern einmal abgesehen. Und die bringt die Masse selbst dazu (im vorauseilendem Gehorsam?) etwa zu singen, zu johlen und zu grölen oder auch Wellen zu formen.

Was zunächst also recht desorganisiert wirkt, zeigt sich bei näheren Hinsehen schon als homogener Organismus, in welchen sich Individuen integrieren und der Masse folgen. Damit meine ich also nicht, wie vermutet, dass etwa Blatter ein neuer Stalin sei – eine solche Beleidgung gegen Blatter habe ich auch nie behauptet! Die Masse Mensch jedoch, die bei vielen (mir inklusive) eher kritische Gedanken hervorruft, ist, das haben bereits der Philosoph Peter Sloterdijk und der Dichter Elias Canetti nachgewiesen. Durch diese totalitären Züge ist das Potential zu einem richtigen Totalitarismus durchaus generiert. Und meist ist dies einer Masse und den Individuen unbewusst, vor allem, wenn man zu so einem eigentlich harmlosen Ziel zusammenkommt.

Lieber Dennis, du wirfst mir vor, ich würde Terminologien mutwillig verwenden, ohne nähere Kenntnisse. Diese Kritik erweist sich wohl als falsch. Leider scheinst aber du, im Eifer des Gefechts, einige meiner Pointen und Begriffe nicht ganz richtig aufgefasst zu haben. Schade eigentlich, denn das hätte der Diskussion einen besseren Antrieb verliehen. Faschistoide oder totalitäre Elemente sind noch kein Faschismus oder Totalitarismus, aber sie sind Teil vom letzterem. Das heißt nicht, dass Fußball nur so ist, oder dass die Verbindung von Fußball und dem Faschistoiden konstitutiv sind, dass diese per se bestehen, nein, es heißt, dass diese Elemente vorhanden sind, durch die in meinem Essay genannten Kriterien und Faktoren. Und eben das, um erneut normativ zu enden, macht den Fußball in seiner jetzigen Form ungenießbar. Da helfen auch keine Bilder von süßen Hunden neben Bällen mehr.

Philip J. Dingeldey

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