Chinas größter Star

10446389_847851308561805_2139360227_nDer Konzeptkünstler Ai Weiwei gilt seit Jahren als einer der bedeutendsten – nicht nur chinesischen – Gegenwartskünstler. In Berlin findet nun die bisher größte Einzelausstellung seiner Werke statt. Während seine Kunst in China selbst der Zensur unterliegt, zog die Austellung „Evidence“ im Martin-Gropius-Bau seit April weit über 100.000 Besucher an.

Das Verhältnis der chinesischen Staatsführung zu ihrem bedeutendsten Künstler ist durchaus ambivalent: Einerseits ist Ai Weiwei, der sich als scharfer Kritiker des Regimes profiliert hat, gewissermaßen ein Staatsfeind, andererseits ist er jedoch auch Aushängeschild des modernen China. Auch die unlängst in Deutschland erschienene Doku „The Fake Case“ macht diese Ambivalenz deutlich, wenn Ai Weiwei darin behauptet, gefährlicher als seine Meinung weiterhin frei kund zu tun, sei es, nun zu schweigen. Folge des – sogar nach chinesischem Recht – fragwürdigen Steuerhinterziehungsprozesses gegen Ai Weiwei und dessen Firma und seiner dreimonatigen Einzelhaft war somit auch die gestärkte Selbstbehauptung als politischer, systemkritischer Künstler. So atmen auch die meisten der ausgestellten Exponate den Geist des Politischen. Dabei lassen sich vielleicht drei Komplexe unterscheiden, die auch hinsichtlich der bevorzugten Materialität und Medialität Differenzen aufweisen.

10449807_847851658561770_691526245_nDer Besucher wird im großen Lichthof mit der Installation „Hocker“ empfangen. Hierin wird die Bedeutung der Tradition im Werk Ai Weiweis deutlich. Die Holzschemel sind eine typische chinesische Sitzgelegenheit, sie wurden allerdings von den Chinesen, die in die Stadt gezogen sind, auf dem Land zurückgelassen. Ai Weiwei hat über 6000 von ihnen gesammelt und sie nun zu einer neuen Oberfläche zusammengefügt. Die Hocker bilden gewissermaßen ein Mahnmal gegen das Abwenden von der Tradition. Als korrespondierende Installation könnte man „table and chest with chairs“ nennen. Hierfür wurden Stühle aus der Ming-Dynastie abgeschliffen. Sie sehen nun aus wie neu, Tisch und Truhe verraten aber die ursprüngliche Schönheit der Stühle, die Patina, die sie vor dem Abschleifen hatten. Laut Katalog „fordert Ai Weiwei den Betrachter auf, über Fragen der Authentizität und auch über den Wert und die Bedeutung von Antiquitäten und Originalkunstwerken nachzudenken.“ (S. 111) Diese Deutung greift aber möglicherweise zu kurz, auch hier offenbart sich immerhin die Traditionsvergessenheit des modernen China. Freilich manifestiert sich hier kein blinder Traditionalismus: Die Beschäftigung mit den Ursprüngen ist ebenso eine ästhetische und sie liefert keine eindeutige Antwort. Ai Weiwei verwendet viele Materialien mit langer Historie, wie Marmor, Glas, Porzellan, in neuen Kontexten und dadurch von ihrer ursprünglichen Beschaffenheit und Verwendung entfremdet.

Beispielhaft könnte man die „Armierungseisen aus Marmor“ nennen, die eine Fortführung der „echten“ Armierungseisen darstellen, die während aus den Trümmern des massiven Erdbebens in Wenchuan 2008 geborgen wurden. Als marmorne Repliken, schreibt Ai Weiwei „erscheinen [sie] elegant und glatt, und die aus Verzweiflung begonnene Arbeit wird zu einem Denkmal für ein sinnloses historisches Ereignis“ (S. 177 im Katalog). Hier könnte man auch den zweiten großen Themenkomplex ansetzen, der in der Beschäftigung mit gesellschaftspolitischen Fragen des modernen China besteht. So wird etwa in zahlreichen Videos die großstädtische Infrastruktur festgehalten. Der Inselstreit mit Japan ist Gegenstand von zahlreichen Marmor-Skulpturen, die nach Form und Titel die „Diaoyu Islands“ darstellen.

10437085_847851315228471_1808399312_nDer dritte Komplex nimmt vielleicht nicht in der Ausstellung, sicher aber in den Medien den größten Raum ein: die Selbstinszenierung Ai Weiweis als politischer und mehr noch politisch verfolgter Künstler. Am deutlichsten wird dies in der Inszenierung seiner 81-tägigen Haft. So hat er etwa seine Gefängniszelle im Originalmaßstab nachgebaut. Der Betrachter sieht einen in Styropor eingekleideten Raum mit einem Bett, einem Tisch und zwei Stühlen. Das kleine Badezimmer nebenan ist noch weit beklemmender. Es geht jedoch weniger um die Selbststilisierung als vielmehr um die Botschaft selbst. Ai Weiwei kann inzwischen seine eigene Geschichte als Sprachrohr gegen die chinesische Führung verwendet. Sein Weg als Künstler steht dabei exemplarisch für den Umgang des Regimes mit Andersdenkenden.

Wesenhaft für Ai Weiweis Kunst ist die Klarheit und Einfachheit der verwendeten Mittel. Die Kunstwerke sprechen und gewinnen gerade durch die Verknappung und die Beschränkung eine Prägnanz, die ästhetisches Bewusstsein und politische Botschaft zusammen denkt.

Bis zum 7. Juli sind Ai Weiweis Werke noch in Berlin zu sehen. Nähere Informationen gibt es hier.
Katalog zur Ausstellung: Ai Weiwei: Evidence, herausgegeben von Gereon Sievernich, München, London, New York: Prestel 2014, € 39,95, ISBN: 978-3—7913-5391-3.

Timo Sestu

Nachtrag: Wie am Donnerstag bekannt wurde, wird die Ausstellung aufgrund des großen Erfolgs um eine Woche bis zum 13. Juli verlängert.

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