Aus der Sprache gefallen

Blut am Hals der Katze_N.F. Tuerksever, Ensemble_(c) HIlda Lobinger

Foto: Hilda Lobinger

Am letzten der diesjährigen Bayrischen Theatertage sitze ich zehn Katzen gegenüber: Sie sind starr, wirken maschinell, Zukunftskatzen vielleicht, roboterartig, und doch leuchten ihre Augen. Vielleicht geht es in „Das Blut am Hals der Katze“ ja um den arroganten Blick der Katzen auf unsere Welt. Erst im Nachgespräch erfahre ich, dass das Stück nur aus Zufall so heißt. Dass es eigentlich der Name eines anderen Stücks war, das nie fertig geworden ist. Dass der Titel seinen Teil dazu beiträgt, in diesem Stück die Probleme unserer Sprache auf die Bühne zu bringen. Die zehn Darsteller der Bayrischen Theaterakademie August Everding haben trotzdem jeder eine Katze gebastelt. „Wir wollten Assoziationsräume schaffen“, erklären sie. Und in diesen Räumen habe ich mich ausgesprochen gern aufgehalten.

Bevor das Ensemble auf der Bühne erscheint, stehen da diese Katzen. Hinter ihnen wurde ein riesiges Tuch voller Zeichnungen aufgespannt: wirr, bunt, eine Collage aus Bäumen, Eurozeichen, Parteinamen, Blumen, Tieren. Ist es das, was die Roboterkatzen der Zukunft sehen, wenn sie auf unsere Welt herabblicken? Ein Gewusel aus unverständlichen Zusammenhängen? Zumindest ist es ein Teil dessen, was Phoebe Zeitgeist hier entdeckt. In männlicher Gestalt auf hohen Hacken betritt sie die Bühne und verkündet, dass sie nur zu Besuch auf dieser Erde sei. Sie möchte eine Reportage über die Menschen schreiben. Doch als diese die Bühne betreten, steht Phoebe vor einem großen Rätsel: Sie kann keinen von ihnen verstehen. Dabei hat sie ihre Sprache doch gelernt.

Harte Oberflächen

Als Rainer Werner Fassbinders Stück 1971 uraufgeführt wurde, stieß es auf harte Kritik: Es sei nur ein Abklatsch der Stücke von Handke und würde unsere Gesellschaft auf oberflächliche Weise darstellen. Und auch an diesem Abend ist Oberflächlichkeit ein wichtiges Stichwort. Es ist das Stichwort, an das man sich klammern kann, um nicht überfordert zu werden. Wenn alle aneinander vorbei reden, sich anschreien, sich anspringen und doch nicht verstehen können, möchte man das schnell mit der Oberflächlichkeit der Gesellschaft begründen. Die Menschen prallen an den Oberflächen der anderen ab, tiefer kommen sie nicht, Tiefgang ist nicht – in den Siebzigern genauso wenig wie heute. Doch die Schauspielschüler der Theaterakademie schürfen mit jeder Szene doch etwas tiefer als es bequem sein dürfte.

90 Prozent Fassbinder

„Für mich ist es die reinste Therapie, dieses Stück zu spielen“, sagt einer der Darsteller im Nachgespräch. Sie erzählen, dass jeder etwas Eigenes mit einbringen durfte. In fast jedem Monolog handeln ein paar Worte vom Schauspieler selbst. Trotzdem wäre noch 90 Prozent Fassbinder da drin, betont der Dramaturg lächelnd. So vor allem die vielen Phrasen und Floskeln, die heute teilweise nicht mehr so gebräuchlich sind. „Lieber fett als arm“, zum Beispiel.

„Lieber fett als arm“, sagt einer der Darsteller während der Aufführung, erst leise, später lauter, lachend. Phoebe wiederholt es: „Lieber fett als arm“ und aus ihrem Mund klingt es noch absurder. Sie lauscht jedem Wort nach, versucht Zusammenhänge herzustellen, wo augenscheinlich keine zu finden sind. Nach und nach macht sie mit ihren distanziert klingenden Wiederholungen klar: Die Oberflächlichkeit ist nicht die der Menschen, sondern die ihrer Sprache. Mit diesen Floskeln kann sich niemand ausdrücken, alles ist Zitat, alles ist Phrase, der individuelle Mensch passt da nicht rein.

In der Sprache verschwinden

Dabei versucht er es. Die Schauspieler beginnen, sich selbst und sich gegenseitig in den Farben des Bühnenbildes zu bemalen. Als wollten sie dazugehören, Teil der wirren, bunten Sprachwelt werden. Wenn das Licht gedimmt wird und das Pink auf Haut und Leinwand leuchtet, scheint es fast zu funktionieren. Doch nur fast. Schnell fallen die Figuren wieder heraus aus ihren Sprachhülsen. Sie sind zu individuell, zu erschreckend unglücklich, zu verbittert, zu unheimlich. Und jede einzelne von ihnen wird auf mitreißende Weise von den jungen, beeindruckenden Darstellern verkörpert.

Beim Nachgespräch hatte sich eine verspätet und erklärt, dass jeder auch seine eigene Geschichte mit in die Rolle einbringen durfte. Wir nicken, die Schauspielkollegen sagen schnell: „Haben wir schon erzählt“ und lächeln.

Sie sind stolz auf das, was sie da geschafft haben, das sieht man und das dürfen sie auch sein. Es war eine sehr berührende Stunde im Redoutensaal, in der die Isolation jeder einzelnen Figur auf die Zuschauer überzugreifen drohte. Wenn dem einen die vollen Windeln gewechselt werden, während die andere von Liebe redet, wenn der eine auf bayrisch von der Heimat singt und der andere lautstark einen Flieger mimt, wenn einer seine Katze als Maschinengewehr benutzt und die andere von Sex mit Soldatinnen fantasiert, möchte man am liebsten vermitteln – oder wegrennen. Doch wie so oft im wahren Leben ist nichts von beidem möglich.

Erlangen ist toll

„Jeder von uns durfte selbst etwas mit ins Stück einbringen“, erklärt uns der letzte Nachzügler der Schauspieler im Nachgespräch. Alles lacht, das hatten wir schon ein paar Mal. Er lacht mit. „Erlangen ist toll!“, ruft er zur Ablenkung und spätestens zu diesem Zeitpunkt haben wir das Ensemble ins Herz geschlossen. Schade, dass es ihre letzte gemeinsame Arbeit war. Nicht mehr lange und sie werden alle in unterschiedlichen Theatern Deutschlands arbeiten. Ich bin gespannt darauf, wo und wie wir sie wiedersehen werden, und wünsche Ihnen schon jetzt viel Erfolg.

 

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