Wenigstens handelt es sich dabei um eine noch relativ neue, postmoderne Lyrikform, bei der Cut-Up-Lyrik. Die junge Dichterin Lydia Daher hat mit dieser versucht, die Welt in ihrem Kopf zu verwandeln und sich ein Bildtagebuch lyrisch zusammenzuschneiden. Leider kommt bei ihrem so entstandenen neuen Lyrikband Und auch nun, gegenüber dem Ganzen – dies nicht viel Lesenswertes heraus.
101 Collagen hat die Lyrikerin über ein Jahr hinweg für ihren dritten Gedichtband angefertigt, angefertigt aus Zeitungsartikeln, genauer: Literaturkritiken. Sie schnitt einzelne Wörter oder Satzteile aus und klebte diese neu, in einer poetischen Form zusammen. Dies geschieht meist auf dem Hinter- respektive Untergrund von weißem Papier oder Zeitungsbildern. Ulrike Almut Sandig stellt schon im Vorwort fest, dass oft grob bei Text und Bildern geschnitten und gerissen wurde, Daher sich nicht viel um optische Perfektion bemüht hat. Damit würde sie, so Sandig, Ratlosigkeit perzipieren, die sich zu Wut steigert und gleichzeitig zeigen, dass es auf den Zeitungsleser ankommt, was er aus den Texten macht. Darüber hinaus können wir jedoch auch feststellen, dass gerade dieser Antiperfektionismus im optisch-performativen Prozess das Ganze lebendig und irgendwie sympathisch erscheinen lässt und nicht, wie ein totes chemisches Experiment.
Bedauerlicherweise ist das Optisch-Ästhetische an diesen Collagen auch schon das Beste: Teils finden wir als Bilder zensierte Gesichter, Neuformungen – wie mein persönliches Highlight: einem Knochen, aus dem Mädchenbeine ragen – Schemen, Figuren oder Puppen.
Nur wenige geniale Literaturmomente
Die Lyrik selbst, das was einen also eigentlich als Dichter ausmacht, ist jedoch bestenfalls stark durchwachsen. Die Dekonstruktion der Literaturkritik, das Umdrehen des Spießes sozusagen, oder die Demonstration der Veränderbarkeit von Texten und Worten durch einen Dichter selbst mutet zwar ehrgeizig an und ein solches Unterfangen hat überaus viel Potential. Daher hat jedoch aus einer überragenden literarischen Idee nicht besonders viel gemacht: Zwar ist die Dekonstruktion vollends gelungen, insofern, als dass es keine Hinweise mehr auf den Ursprung der Texte in den Gedichten gibt, jedoch sind die meisten Gedichte sperrige Texte – so sperrig wie der Buchtitel selbst oder schlimmer -, mit sehr wenig oder nur pseudotiefgründigen Inhalt.

Die Lyrikerin Lydia Daher bei den Wiener Festwochen 2008 (Quelle: Wikimedia Commons/ Tsui – Manfred Werner).
Denn das ist das Problem mit Dahers Collagenlyrik: Die Form der Cut-Up-Gedichte diktiert hier die Funktion, den Inhalt. So entsteht ein L´art pour l´art, das die äußere Form der Collage zum, vom Inhalt independenten und intrinsischen Nonsens erhebt. Darum gibt es auch kein bestimmtes Thema oder eine Themengruppe, der sich Daher wirklich widmen würde. So ist immer wieder mal zwar von Liebe das Thema, etwa mit pseudointellektuellen Platitüden, wie im Gedicht „Liebe/ drängt sich nicht auf,/ Connie -/ sie ist ein/ HIRSCH hinter/ Palmen“, wahlweise unterbrochen durch aussagelose Texte oder kleinen Alltagsbemerkungen, die Daher zu etwas Hintergründigem erheben möchte, jedoch dabei auf der Ebene platter Pauschalweisheiten stehen bleibt, wie bei dem Gedicht, das nur aus dem Satzteil „das Eigentlich ist so geräumig“ besteht. Nur hin und wieder blitzt sogar eine gewisse literarische Genialität durch, aber das sind eher rare lichte Momente.
Vielleicht liegt diese poetische Unzulänglichkeit auch daran, dass Lydia Daher in diesem Band Gedichte produzierte, ohne selbst wirklich zu dichten, zu texten, ohne literarisch zu agieren, denn das krude Zusammenkleben von Texten macht noch keine qualitativ hochwertige Lyrik aus. Das Konzept der Dekonstruktion anderer Texte reicht noch nicht aus, für eine gute postmoderne Literatur. Vielleicht sollte Lydia Daher lieber wieder selbst dichten, das würde sich sicherlich eher lohnen.
Lydia Daher: Und auch nun, gegenüber dem Ganzen – dies, Verlag Voland & Quist, Dresden/Leipzig 2014. Taschenbuch, 109 Seiten, 17.90 Euro. Weitere Informationen gibt es unter: http://www.voland-quist.de/buch/?192/Und+auch+nun%2C+gegen%C3%BCber+dem+Ganzen+%E2%80%93+dies.
Philip J. Dingeldey