„Wir sind dieses Elend“

Cover zu "Iman" von Ryad-Assani-Razaki (Quelle: Wagenbach Verlag).

Cover zu Iman von Ryad-Assani-Razaki (Quelle: Wagenbach Verlag).

Die Endbuchstaben der Kapiteltitel ergeben summiert die Vokabel Immigration; und die Flucht vor Elend, Unterdrückung, Armut, Sexismus und Rassismus ist auch der dominante Topos von Ryad Assani-Razakis kürzlich auf Deutsch erschienenem Debütroman Iman. Glück und Erfolg kommen dafür im Buch nahezu nicht vor.

Der Roman spielt in einem namenlosen afrikanischen Land, das seit einem Putsch von Militärs beherrscht wird. Zu Beginn des Buches wird gleich eine ganze Palette an Viten flott und knapp, aber ohne kurzweilig oder abgehackt zu werden, abgehandelt – über die muslimische Großmutter Imans, einem der Hauptcharaktere, und ihre Armut nach dem Tod ihres Mannes, die den einzigen Trost in naiven Glaubensformen findet, die Mutter, die mit einem alten, weißen Geschäftsmann den Sohn Iman bekommt, bevor der Vater beide zurücklässt und dann als gefallene Frau einen General heiraten muss, welcher den Sohn hasst oder auch Imans, von Schwäche und Angst getriebener Halbbruder Désiré.

Liebe ertränkt im Elend

Als von Stiefvater und Mutter Verstoßener, bleibt Iman Außenseiter, der bei der Großmutter in großer Armut aufwächst sowie zwischen der stetigen Gewalt der Straßengangs und des Rassismus´ sozialisiert wird. So hat er schon früh das einzige Ziel, diese grausigen Verhältnisse durch eine Flucht nach Europa zu verlassen und versucht, mit dieser vagen Hoffnung sein Elend zu kompensieren. Eines Tages rettet er den Jungen Toumani das Leben, der als illegaler Sklave eines Weißen von diesem dem Tod überlassen wurde und zwischen den beiden entsteht eine semierotische Freundschaft. Dieses Minimum an Positivität und Hoffnung gerät schließlich auch ins Wanken, als Toumani Alissa wiedersieht, die auch ein Opfer von Menschenhändlern wurde. Sie ist wohl die stärkste Protagonistin, die partiell effektiv versucht, sich von ihren Herrschaften zu befreien, indem sie bei einer Prostituierten unterkommt und privat keinem mehr dient. Iman jedoch verliebt sich (wie Toumani) in sie. So entsteht eine schwierige Beziehung über allerlei Ecken, geprägt von den Minderwertigkeitskomplexen und der Verbitterung Toumanis, den Fluchtwünschen Imans und der Unsicherheit Alissas.

Könnte sich ein solches Liebesdilemma in anderen Verhältnissen noch positiv auflösen, lässt Assani-Razaki nichts dergleichen zu: Durch die stete Präsenz von Leid, Armut, Gewalt und der Missachtung der Menschenwürde ist ein positiver Ausgang quasideterministisch verhindert und obgleich das Ende offen bleibt, mündet der Schluss doch weitgehend in eine brutale Katastrophe. Jede Hoffnung wird vom Autor gekonnt negiert. Jede Liebe ertrinkt in der Frustration des Elends! Immer wieder streben die meisten Protagonisten nach typisch postkolonialistischen Zielen, wie Autonomie, Gleichberechtigung und Emanzipation. Untermauert wird dies hin und wieder mit diversen populären Aphorismen, wie Die stärkste Waffe in den Händen der Unterdrückten sind die Gedanken der Unterdrückten.  Aber jedes Aufkeimen versinkt in Ernüchterung und Resignation. Zwei Beispiele aus einem der vielen kurzen, aber ergreifenden Dialogen: Erstens, „Die Welt gehört uns allen, Toumani.“ Ich hätte ihn gerne ausgelacht, aber ich war viel zu traurig;  zweitens, Die Weißen beherrschen uns, indem sie uns unsere Träume verkaufen.

Die Gewalt Afrikas

Das stärkste Motiv ist aber die Gewalt Afrikas, die in den diversesten Facetten zutage tritt: entweder als implizite Drohung der herrschenden Klassen und Gruppen oder durch den dauernden psychischen Druck oder vor allem durch die krassen, aber realistischen Schilderungen der alltäglichen, rassistischen, sozialen, sexuellen oder militärischen Gewalt, die so tief im kollektiven Bewusstsein verankert ist, dass selbst die engsten Freunde und Geliebten zu brutalen Kontrahenten werden können.

Der Slum Soweto bei Johannesburg (Quelle: Wikimedia Commons/ Medpro).

Der Slum Soweto bei Johannesburg (Quelle: Wikimedia Commons/ Medpro).

Stilistisch ist Assani-Razaki ein schlichter Könner: Er verzichtet weitgehend auf stilistische Finessen oder Besonderheiten, sondern beschreibt schlicht, manchmal auch emotional, derb und brutal die Verhältnisse, ohne zu oft in übelwerdende Details zu verfallen oder weitschweifig an einer Stelle zu verharren, geschweige denn einen moralischen Zeigefinger zu erheben. Das Grundprinzip scheint zu sein, dass diese Handlung für sich selbst spricht. Dadurch gelingt es dem jungen Autor sehr gut, den Leser zu berühren und in die Situation hineinzuversetzen, womit er oftmals auch Hartgesottene erschüttern kann.

Bei Iman handelt es sich ergo um einen sehr ergreifenden, politisch-sozialen Roman über die Verhältnisse in den Slums Afrikas, der jedem, der so viel fiebrige Ehrlichkeit erträgt, einen spannenden, bedrückenden und nachdenklich machenden Lesestoff bietet. Zwar bleibt bis zuletzt offen, ob die drei Protagonisten überleben, aber die Bedeutung von Imans Name (nämlich Glaube) wird während des ganzen deprimierenden Buches ad absurdum geführt, denn Unsere schwarze Haut ist unser Elend. Wir sind dieses Elend, so ein Fazit von Toumai, der sich zuweilen gar nicht wie ein richtiger Mensch fühlt.

Ryad Assani-Razaki: Iman, übersetzt von Sonja Finck, Wagenbach Verlag, Berlin 2014. Gebunden, 317 Seiten, 22,90 Euro. Weitere Information gibt es unter: http://www.wagenbach.de/buecher/titel/930-iman.html.

Philip J. Dingeldey

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