Man kann dem nicht entgehen – 2014 ist das Jahr der Jubiläen zahlreicher historischer Ereignisse, die die Kultur unseres kollektives Gedächtnis´ prägen: vor 75 Jahren begann der Zweite Weltkrieg und vor 200 der Wiener Kongress und vor sogar 2000 Jahren starb der römische Kaiser Augustus. Ein historisches Ereignis prägt die diesjährige Medienlandschaft besonders: Der Beginn des Ersten Weltkrieges vor 100 Jahren im August 1914.
Zahlreiche Bücher werden schon seit Ende 2013 dazu auf den Markt geworfen und werden noch mindestens bis Ende des Jahres alle Medien überschwämmen. Das wohl gelungenste Werk hierzu schrieb ausgerechnet kein Historiker, sondern ein Politologe: Herfried Münkler mit seinem Buch Der Große Krieg. Die Welt 1914-1918 – erschienen im Rowohlt Verlag.
Sachlich-kühl bis literarisch
Das Buch ist wesentlich mehr als eine ziemlich detaillierte Ereignisgeschichte auf rund 900 Seiten, wie sie so mancher Historiker vorlegt, sondern ebenso eine sehr kompetente und intelligente Analyse der internationalen Politik, des Krieges und seiner politischen Kontexte. Für Münkler – einen Experten für internationale Beziehungen und renommierten Theoretiker für neue Kriegsformen – ist dieses Agieren nicht verwunderlich; seine politologischen Theorien wurden bereits von einigen Historikern rezipiert, so ist nur konsequent, wenn Münkler dies jetzt endlich einmal selbst tut.
Der dicke Wälzer ist in neun Kapitel mit zahlreichen Unterkapiteln untergliedert, die die Monographie in leichter verständlichen Häppchen servieren. Zahlreiche Illustrationen – Landkarten, Schlachtpläne und Fotos von politischen Akteuren, wie Kaiser Wilhelm II. oder Reichskanzler Bethmann-Hollweg – lockern das Mammutwerk zusätzlich auf. Ebenso ist der sprachliche Stil zwar anspruchsvoll, aber durchaus verständlich und auch für interessierte Laien gut lesbar. Jedoch setzt er sich durch seinen sachlich-kühlen und zugleich fast schon literarischen Duktus von dem plumpen, effekthaschenden Infotainment, wie es etwa ein Guido Knopp öfter medienwirksam an den Tag legt, erfreulich ab.
Der erste Weltkrieg und unsere Zukunft

Prof. Dr. Herfried Münkler im Jahr 2010. Foto. Stephan Röhl (Quelle: Wikimedia Commons/ Boing-boing).
Münkler geht dabei zwar chronologisch, aber primär politologisch-systematisch vor: Er erörtert Ereignisse und erläutert historisch-politische Kontexte, wobei er für den Kriegsbeginn nicht nur die Auslöser, sondern auch die lang- und mittelfristigen Ursachen herausarbeitet. Des Weiteren baut er immer wieder Kurzbiographien verschiedener Akteure ein. Am gelungensten ist aber wohl das letzte Kapitel, in dem Münkler seine politologische Raison d´être beweist und den Weltkrieg als politische Herausforderung für die Zukunft herausarbeitet. Denn der Erste Weltkrieg sei nicht nur ein für unser kollektives Gedächtnis konstitutives Element und Münkler zeigt nicht nur Konsequenzen auf (blutig-misslungene Revolutionen, Totalitarismus, totaler Krieg etc.), wie es schon zahlreich geschah und im Terminus Urkatastrophe des 20. Jahrhundert schon impliziert ist, sondern der Autor bringt auch fruchtbare, teils provokante Vergleiche in der Gegenwart; er vergleicht etwa im gegenwärtigen internationalen System China mit dem Deutschen Reich am Anfang des 20. Jahrhunderts oder das damalige Wettrüsten mit dem heutigen.
Generell handelt es sich bei Münklers sachkundiger, detaillierter und intelligenter Abhandlung über den großen Krieg, wie Zeitgenossen den Ersten Weltkrieg titulierten, um eine vielschichtige große und großartige Schilderung dieses Krieges, auch im Kontext unserer kriegerischen und blutigen Gegenwart. Ein großer Wurf, der sich wohl binnen Kurzem als historisch-politisches Standartwerk etablieren wird.
Herfried Münkler: Der große Krieg. Die Welt 1914-1918, Rowohlt Verlag, Berlin 2013, vierte Auflage 2014. 925 Seiten, gebunden, 29,95 Euro. Weitere Informationen zu dem Buch unter: http://www.rowohlt.de/buch/Herfried_Muenkler_Der_Grosse_Krieg.3070223.html
Philip J. Dingeldey