Was können wir den Medien noch glauben?

 

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Bild: Klöpfer & Meyer Verlag

 

Journalismus ist nichts anderes als großes Theater.

 

Diesen Eindruck bekommt man jedenfalls, wenn man das Buch Blattkritik. Vom Glanz und Elend der Journaille liest. Wobei der Untertitel trügerisch ist. Tatsächlich geht es nur und ohne jede Einschränkung um das Elend im Journalismus. In dem vermeintlichen Glanz sonnen sich Journalisten zwar gerne selbst, doch das ist nichts als schöner Schein. Ja, und der Schein trügt, wie Anton Hunger auf 248 Seiten ausführlich erläutert. Blattkritik – eine Kritik, nicht nur an den Zeitungen, sondern an allen Medien. Wer wäre dafür besser geeignet als ein Mann, der jahrelang als Journalist gearbeitet hat, der aber auch jahrelang PR-Manager bei Porsche war? Er kennt die Branche aus beiden Perspektiven und scheut sich nicht, das auszusprechen, was häufig unausgesprochen bleibt.

Von Journalisten erwartet man, dass sie unabhängig und objektiv berichten, dass sie Fakten gründlich recherchieren und verständlich aufbereiten, dass sie analysieren, einordnen, kritisieren. Kritik ist wichtig in einer Demokratie, vor allem die Kritik an den Mächtigen, die ihre Macht ausnutzen. Aber wer kritisiert die Kritiker? Journalisten legen die höchsten moralischen Ansprüche an andere, besonders an Politiker. Sie empören sich über Guttenbergs plagiierte Doktorarbeit und Wulffs Annahme von Vergünstigungen. Noch bevor es ein offizielles Urteil gibt, verurteilen Journalisten sie. Für Medien gilt die Unschuldsvermutung offensichtlich nicht. Was mit den Beschuldigten, oder besser: den Opfern, passiert, interessiert sie dabei nicht. Wie im Fall der NSU-Morde. Solange es noch keine Hinweise gab, dass Terroristen die Verbrechen begangen hatten, wurden Verwandte und Bekannte verdächtigt. Nicht nur verdächtigt, sie wurden als wahrscheinliche Täter dargestellt. Vor der gesamten Öffentlichkeit.

 

Alles nur Inszenierung

Medien sind objektiv? Sie verbreiten nur die Fakten? Anton Hunger zeigt, dass die Realität anders aussieht: Es ist eben alles nur Theater und Inszenierung.

Heute würde man sagen, die Wirklichkeit wird medial inszeniert. Wahr ist nicht, was ist, sondern wie es erfahren, gewichtet und dann beschrieben wird. Und zum Beschreiben gehört eine Dramaturgie, weil eine Aneinanderreihung von schnöden Fakten unter Umständen den Leser langweilt. Zwar können Fakten auch spannend sein, aber der Journalist braucht eine Story. Und bei einer Story stören Fakten, die nicht in die Dramaturgie passen. (S. 20)

 

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Anton Hunger
Bild: Christoph Bauer

Gute Journalisten sind also Dramaturgen und Regisseure. Nicht die langweiligen, faktisch richtigen Artikel bringen Geld ein, sondern die emotional aufgeladenen Storys. Oder mit den Worten Bertolt Brechts: „Erst kommt das Fressen, dann kommt die Moral.“ Für gute Geschichten tun manche Journalisten fast alles: Sie übernehmen ungeprüft Informationen, lassen sich für fremde Interessen instrumentalisieren und skandalisieren neutrale Meldungen. Die Rede ist nicht nur von Bild und Co., sondern auch von den sogenannten „seriösen“ Medien wie der Süddeutschen Zeitung. Es ist schon auffällig, dass manche Geschichten in allen Zeitungen fast identisch auf der Titelseite erscheinen und andere, wirklich wichtige Meldungen nur im Kleingedruckten.

In Blattkritik nimmt der Autor kein Blatt vor den Mund. Manches ist zwar allgemein bekannt und vieles hat man schon geahnt, dennoch ist das Buch lesenswert. Ob seine Kritik an den Medien nun aber Schwarzmalerei oder Realität ist, muss jeder für sich selbst herausfinden.

 

 

Sind wir besser?

Die Medien, die Journalisten. Hätte ich nicht eigentlich schreiben müssen: Wir Journalisten? Es ist paradox, eine Medienkritik zu rezensieren, wenn man selbst irgendwie dazugehört – und irgendwie auch nicht. re>flex-Redakteure arbeiten nicht für Geld. Wir mischen uns nicht ins politische Tagesgeschehen ein. Schreiben über Kultur, was wahrscheinlich der Grund dafür ist, dass wir kein Geld verdienen. Aber wir sind vollkommen subjektiv. Uns passieren inhaltliche Fehler. Wer weiß, vielleicht wären wir sogar bestechlich, wenn es jemand versuchen würde?

Na ja, immerhin haben wir nicht von Michael Schumachers Skiunfall berichtet, nur um mehr Klicks zu bekommen. Wirklich, das Buch bringt einen zum Nachdenken.

Patricia Achter

Anton Hunger
Blattkritik. Vom Glanz und Elend der Journaille
Edition Hubert Klöpfer
Klöpfer & Meyer Verlag
248 Seiten, geb. mit Schutzumschlag
19.50 €
ISBN 978-3-86351-059-6

 

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