Meisterin der Liebeslyrik

Cover von Gesammelte Gedichte von Ulla Hahn (Quelle: DVA).

Cover von Gesammelte Gedichte von Ulla Hahn (Quelle: DVA).

Lyrik liest doch heute ohnehin keiner mehr, ist doch klar?! Falsch! Selten gibt es auch Lyriker, die empor klettern und sich eines breiten Leserkreises erfreuen; einer von Ihnen ist Ulla Hahn, deren gesammelte Gedichte im gleichnamigen Band in der DVA veröffentlicht sind.

Schon auf den ersten Blick sieht man, wie umfangreich das lyrische Werk Hahns ist, macht der Band doch knapp 900 Seiten aus vier Jahrzehnten aus, begonnen bei ihrem ersten Band Herz über Kopf von 1981 bis zu Wiɘderworte von 2011. Zusätzlich zu diesen schon zuvor publizierten Gedichten, kommen noch ein paar neue – jedoch meist nur sehr banale – Haikus unter dem Titel fünfte jahreszeit hinzu. Garniert ist das Ganze mit einem Vorwort von Hahn selbst, wo sie ihr literarisches Schaffen theoretisch begründet sowie mit einem kompetenten, poetologischen Nachwort von Dorothea von Törne.

Schon Hahns Vorwort verdient Anerkennung definiert sie die obligatorische Konnexion von literarischer Sprache und sozialmoralischem Denken, wodurch lyrisches Ich und Welt voneinander durchdrungen seien. Damit lehnt sie schon hier (wie auch im Gedicht Ars Poetica) ein jegliches L´art pour l´art Prinzip als sinnlos ab.

Von Frauen, Hoffnung und der Liebe

Trotz dieser literarischen Fokussierung ist Hahns lyrisches Œuvre durchaus vielschichtig, heterogen und provokativ: Der Leser hat sich nämlich nicht nur durch außergewöhnlich viel Lyrik zu lesen, sondern auch durch unterschiedlichste, oft jedoch autobiographisch angehauchte Themen, ob es sich nun um literarische Reflexionen (in denen sie auch mal, wie in Abgetippt, selbstironisch das Ideal der literarischen Produktion umkehrt) die Glücks- und Hoffnungssuche, antik-mythische oder biblische Anspielungen sowie Frauenschicksalen und der Emanzipation; ein Großteil des Bandes besteht jedoch aus Liebesgedichten, die selbst wiederum äußerst heterogen sind.

In der Liebeslyrik zeigt sich Hahn besonders als Meisterin der Poesie: mal schreibt sie über petrarkistische, sehnsuchtsvolle Liebe, mal erotisch bis frivol, mal plastisch und Brechtianisch, mal fügt sie auch – fast in einem Zug mit Heinrich Heine – eine sarkastische Pointe an romantische Gedichte, um die emotionale Atmosphäre kritisch zu durchbrechen oder setzt die Einsamkeit der Liebe entgegen (wie in Nicht die Liebenden). All dies scheint sogar eines der mit Liebe titulierten Gedichte zu vereinen, in dem gleich die erste Strophe so lautet:

Wenn ein Mann seine Frau nicht mehr lieben kann

mit der erigierten Autorität vergangener Jahre

muss er seinen Kopf beugen und ihre Brüste saugen

mit der Zärtlichkeit und Präzision eines Petrarca.

Herrlich sarkastisch und entfremdend sind aber auch folgende Verse: „Leg Dein Genom auf mein Genom […]/ entschlüsseln wir uns Gen für Gen mit evolutionärer Kraft der großen L@iebe.“

Vielseitig und treffsicher

Ulla Hahn auf dem Poetenfest Erlangen im Jahr 2009 (Quelle: Wikimedia Commons/ Don Manfredo).

Ulla Hahn auf dem Poetenfest Erlangen im Jahr 2009 (Quelle: Wikimedia Commons/ Don Manfredo).

Doch generell ist Hahns Stilistik äußerst vielseitig und treffsicher: In weiten Teilen auf die Interpunktion verzichtend, laviert sie umher zwischen klassischen allzubraven Vers- und Lyrikformen (sie ist etwa ein Freund des Sonetts) und vollkomm aufgebrochenen Gedichten.

In Gesammelte Gedichte von Ulla Hahn ist also für jeden Fan der Lyrik etwas dabei – auch das ist ein Grund für ihren Erfolg -; jeder wird fündig in diesem reichen literarischen Schatz, der, bis auf die Haikus, äußerst lesenswert ist, besonders wenn man Liebesgedichte verschiedenster Gattungen mag.

Ulla Hahn: Gesammelte Gedichte, Deutsche Verlags-Anstalt, München 2013. Gebunden, 878 Seiten, 26,99 Euro. Weitere Informationen zu dem Buch unter: http://www.randomhouse.de/Buch/Gesammelte-Gedichte/Ulla-Hahn/e226077.rhd.

Philip J. Dingeldey

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