Blickt man einmal zurück auf die Sachbücher aus dem Bereich Kultur des letzten Jahres, so haben viele Rezensenten immer die Albert Camus-Biographie der Literaturkritikerin und Feuilleton-Leiterin der ZEIT, Iris Radisch, nämlich CAMUS. Das Ideal der Einfachheit: Eine Biographie, erschienen im Rowohlt Verlag, als Sachbuch des Jahres hervorgehoben – teilweise berechtigt.
Das Buch ist keine trocken-wissenschaftliche Biographie des Schriftstellers, Journalisten und Philosophen Albert Camus (1913-1960), sondern ist selbst in einem journalistischen und manchmal szenischen Stil geschrieben – feinfühlig, elegant, aber auch ungezwungen, locker und leicht zu lesen. Dabei verliert Radisch sich selten in der Subjektivität; sie beleuchtet die wichtigsten Facetten seines Lebens und behält dabei einen distanzierten, obgleich nicht nüchternen Stil. So hält sie zwar klar große Stücke auf das Œuvre Camus´, das sie auch gegen jede zeitgenössische oder gegenwärtige Kritik verteidigt, spricht aber auch eher negative Charakteristika an, wie seine Frauenprobleme, die sie als Misogynie sieht, oder dass er jede Kritik als persönlichen, beleidigenden Angriff auffasste.
Auch der Aufbau der Biographie bewahrt den Leser, der womöglich zwar ein Camus-Fan, aber kein Experte sein wird, vor Überforderung: Die zehn großen Kapitel sind immer in mehrere Unterkapitel von wenigen Seiten zu kleinen Häppchen und Episoden unterteilt. In den Unterkapiteln werden dann entweder biographische Sequenzen (von der proletarischen Kind in Algerien bis zum Pariser Nobelpreisträger), der historische Kontext (wie vor allem der Zweite Weltkrieg und die Resistance) oder Zeitgenossen (wie Pascal Pia oder Jean-Paul Sartre) behandelt oder sein Werk interpretiert und kontextualisiert. So setzte sie beispielsweise immer ein Drama, einen philosophischen Essay und einen Roman einer Schaffensperiode in Kontext zueinander und legt dabei kurze, obgleich differenzierte und fundierte Interpretationen vor. Wie einen roten Faden durchzieht das Buch dabei Camus´ Ideal der schriftstellerischen Einfachheit, das er sich nach ein paar Schülerallüren zulegte. Leider fallen dabei zwei Ungleichgewichte auf: erstens, wird beispielsweise der Roman Der Fremde, der die Basis für Camus´ Weltruhm legte, ungleich intensiver betrachtet als etwa der Roman Die Pest, der wohl vor allem zu Camus´ Literaturnobelpreis führte; zweitens, wird das literarische Œuvre viel detaillierter abgehandelt als das philosophische. Das erklärt sie teils damit, dass Camus sich selbst nie als Philosoph sah – obgleich seine beiden philosophischen Essays Der Mythos des Sisyphos und Der Mensch in der Revolte maßgebend waren sowie heftig rezipiert und kritisiert wurden, wie auch Radisch schreibt. Andererseits lässt sich diese Ungleichbehandlung und weitgehende Ignoranz des Existenzialismus in diesem Buch, bis auf den Faktor des Absurden, auch dadurch erklären, dass momentan existenzialistische Strömungen leider nicht en vogue sind. Für eine Camus-Biographie wäre dies aber eigentlich unverzichtbar.
Camus versus Sartre
Während Radisch häufig unvoreingenommen schreibt und auch viele, zuvor unbekannte Details vorlegt, spricht die Dramatisierung eindeutig gegen dieses Buch. So stellt sie Sartre als Antagonisten Camus gegenüber, indem sie kurz einige Parallelen beider beleuchtet und dann Sartre und seine Haltung zu Camus immer wieder vollends verteufelt – meist zu Unrecht: So waren zwar beide zeitweilig Freunde und immer Konkurrenten, aber Sartre war keinesfalls so sowjethöhrig wie Radisch es gerne hätte (nur weil er politisch linker und radikaler als Camus war; zeitweilig war Sartre gar sozialistischer Antikommunist) keinesfalls politisch passiv, sondern auch Teil der Resistance und seine Kritik an Camus´ zivilisationsfeindlicher Widerstandsphilosophie war berechtigter als sie zugibt. Hier wurde stark simplifiziert und verbogen, damit Sartre aus dramatischen Zwecken zum diabolischen Antagonisten wurde, der er nicht war.
Sehr positiv und von journalistisch hohem Niveau ist dagegen wieder der Epilog, wo Radisch von ihrer persönlichen Begegnung mit Camus´, von ihm eher vernachlässigten Kindern schreibt, nämlich mit Catherine und Jean Camus, die unterschiedlicher nicht sein könnten und stets im Schatten des Vaters stehen. Insgesamt ist das Buch also durchaus interessant, stilistisch sehr filigran und mit wertvollen Informationen für jeden gespickt, der sich heute noch mit Camus beschäftigen möchte – aber aufgrund der Mängel, wie der Ungleichbehandlung von Camus´ Schriften und der fälschlichen, per se negativen Haltung gegen Sartre (der zumindest philosophisch Camus weit überlegen war), wohl kaum das beste Sachbuch des Jahres 2013.
Iris Radisch: CAMUS. Das Ideal der Einfachheit: Eine Biographie, Rowohlt Verlag, Reinbek bei Hamburg 2013. Gebunden, 349 Seiten, 19,95 Euro. Weitere Informationen unter: http://www.rowohlt.de/buch/Iris_Radisch_Camus.3070224.html.
Philip J. Dingeldey