Lasst uns am Kulturverfall teilhaben!

mini-publikum02imjan14„Das RTL2 der Literatur“ – eine Paraphrase für Poetry Slam aus dem gebildeten Feuilleton, beim gestrigen Finale des Jubiläumsslam von Slammer Volker Strübing zitiert. Was wäre nicht besser geeignet als die Versammlung sämtlicher PoetrySlam-Meister, um sich mit dieser Ansicht auseinanderzusetzen? Begeben wir uns hierfür in die Rolle eines konservativen und natürlich kulturpessimistisch eingestellten (wie sollte er sonst Professionalität wahren?) Feuilletonisten. 

Aussage: „Mit dem Anglizismus „Poetry Slam“ bezeichnen sie ihre Wettbewerbe und erheben den Anspruch, sich Poeten zu nennen. Meisterschaften veranstalten sie, deren sämtliche Gewinner gestern versammelt waren. Und dann? Kontext- und inhaltloses Gerede: Jule Weber, die von einer Liebesbeziehung als röchelndem Hochseehai spricht und Volker Strübing, der die Ironie des Schicksals anhand eines sprechenden Fischs erörtert – purer Nonsens.“

Entgegnung: Bei unkonventionellen Metaphern muss man genau hinhören. Und gerade, wenn sie unkonventionell sind, stellt man fest, wie überraschend zutreffend sie sein können: Ein Hochseehai überlebt nur, wenn er in Bewegung ist, sonst erstickt er und wie viele Beziehungen befinden sich kurz vorm Ersticken? Zu unkonventionellen Protagonisten: Auf die muss man sich einlassen und wäre Volker Strübing ein Kanonliterat, dann wäre der Fisch im Feuilleton vielleicht „als Sinnbild des Kapitalismus“ interpretiert worden.Dass Volker Strübing diesen von ihm selbst stammenden Vorschlag zugleich dekonstruierte, zeigt, dass er zu Recht den zweiten Platz belegte, schließlich handelt es sich hier um Nonsens, möchte man die negative Verwendung dieses Wortes beibehalten.

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Sieger Nektarios Vlachopoulos

Aussage: „Zudem war der Abend durch Vulgärsprache und primitive Art des Amüsements gekennzeichnet. Dann beispielsweise, wenn die Beleidigung „Deine Mudder zieht Katapulte nach Mordor“ durch Slammer Pierre Jarawan Gehör fand.“

Antwort: Die Idee, einen deine Mudder-Witz positiv subversiv fehlzuinterpretieren, verdient Applaus.

Aussage: „Nektarios Vlachopoulos, der der deutschen Sprache als einziger tatsächlich mächtig zu sein scheint und dessen Ankündigung, die Behandlung des Themas „Liebe“ in verschiedenen Epochen der Literaturgeschichte zu erörtern, Hoffnung weckt, sorgt lediglich für zusätzliche Empörung: Er degeneriert Kant völlig, indem er vom „kategorischen Schwanzvergleich“ spricht und sich im Finale, aus dem er am Ende tatsächlich als Sieger hervorgeht, unerhörterweise als „Bürger mit Integrationshintergrund“ bezeichnet.“

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Finalist Volker Strübing

 

Antwort: Die Anspielung auf Kant spielt bewusst mit einer Fallhöhe, die selbst alteingesessene Feuilletonisten zum Schmunzeln bringen muss. Und die übliche Integrationsdebatte hat einen Bart – wie deine Mudder. Kreativität entspringt meist der Unkonventionalität und um sich zu verändern, müssen Grenzen aufgebrochen werden. Wie man innerhalb eines inzwischen doch schon bekannten Phänomens noch für Überraschungen sorgen kann, haben sechs Poeten gestern Abend par excellence gezeigt. Und wenn das Kulturverfall bedeutet, dann lasst uns daran teilhaben!

Vera Podskalsky

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