Zur Reflexion über das Thema Amoklauf anzuregen ohne einen Amoklauf zu zeigen, klingt vielversprechend. Die Story eines eher gelangweilt-gleichgültigen Durchschnittsjungerwachsenen, der zufällig mit dem Thema konfrontiert wird, und auf eine Überlebende eines Amoklaufs trifft, macht ebenfalls neugierig. Wirklich überzeugend ist der Film Staudamm in der Umsetzung dann jedoch trotzdem nicht.
Roman (Friedrich Mücke) sitzt rauchend in seiner Wohnung und digitalisiert Gerichtsakten für einen befreundeten Anwalt seiner Mutter. Zoom auf die Tonbandaufnahme auf dem Computer, Romans Stimme, die Zeugenberichte eines Amoklaufs vorliest. Kontrast zwischen einfachem Bild und erschreckendem Ton. Gleich zu Beginn das Hauptstilmittel des Films und kurz ist der Anflug von Spannung da, die erzeugt werden soll.
Sehr schnell wird allerdings deutlich, dass sie nicht gehalten werden kann. Der Kontrast zwischen Bild und Ton setzt sich fort, als Roman, um fehlende Akten abzuholen, in ein kleines bayerisches Dorf fährt, in dem der Amoklauf stattfand. Ländliche Idylle und Romans Stimme im Hintergrund – immer wieder. Roman, der joggt, und die Berichte aus dem Off, ebenfalls immer wieder. Gleiche Bilder also, die endlos wiederholt zu werden scheinen – und damit geht der Effekt verloren.
Die Ansprüche, die Regisseur Thomas Sieben und Produzent Christian Lyra an den Film haben, werden durchaus deutlich: Kein reizüberfluteter Katastrophenfilm, sondern möglichst realitätsgetreue Annäherung an ein Tabuthema. Aufräumen mit Klischees: Auch in einer scheinbar heilen Welt kann so etwas stattfinden, Fragen bleiben nach einem solchen Vorfall immer offen, ein einfaches Motiv wird sich nie festmachen lassen. Charaktere und Story sollen vielschichtig und nicht stereotyp dargestellt werden.
Wenn allerdings zu sehr auf festlegbare Muster verzichtet wird, dann droht die Gefahr, dass jegliche Konturen verloren gehen. Roman, der im Übrigen ununterbrochen raucht, zeigt eine verschwindend geringe Wandlung aus seiner lethargischen Stimmung heraus hin zu tatsächlichem Interesse an den Hintergründen eines Amoklaufs und der Überlebenden Laura (Liv Lisa Fries). Zwischen den beiden entwickelt sich eine eher skizzenhaft dargestellte Liebesgeschichte. Es bleibt Interpretationsspielraum offen, auch bezüglich Lauras Trauma und ihrem Umgang damit. Das ist natürlich intendiert und vereinzelt flackern Anregungen auf, ihn zu füllen. Dann beispielsweise, wenn die beiden in die alte Schule einsteigen, Roman einen Amokläufer imitiert und Laura sich übergibt. Nur gibt es sehr wenige solcher Momente, die aufhorchen lassen und Reflexion anstoßen, und wenn, dann nimmt die allzu ruhige Ruhe des Films ihnen die Spannung.
Hinzu kommt, dass die große Interpretationsfreiheit im Gegensatz zu einer teilweise doch sehr konstruierten Story steht. Zufällig sieht Laura an einer Tankstelle Romans Auto und klopft an seine Scheibe, zufällig ist sie eine der wenigen Überlebenden des Amoklaufs, die außerdem von Amokläufer Peter Wagner geliebt worden ist und dessen Tagebuch besitzt.
Hinter dem Vorhaben, auf das Thema Amoklauf aufmerksam zu machen, tritt der Plot zurück und verliert an Überzeugung. Inwiefern der Film im Rahmen einer geplanten Kooperation mit den Lehrerverbänden in Schulen tatsächlich zur Reflexion anregt, bleibt fraglich.
Staudamm, ab 30. Januar im Kino
Vera Podskalsky