Auf den ersten Blick sieht man nur eine leere Halle, leere Räume, leere Stühle. Kein Mensch weit und breit. Kein Mensch? Wenn man das Bild einmal genau anschaut, jedes Detail betrachtet, wird man doch fündig: Eine geisterhafte Silhouette erscheint …
Mit Magie hat das nichts zu tun, sondern mit viel Arbeit, die der Fotograf Martin Rehm in seine Abschlussarbeit an der TH Nürnberg gesteckt hat. Noch bis zum 4. Januar kann man die sieben großformatigen Bilder in der Ludwigs Bar (Nürnberg) bewundern. Mit ein bisschen Glück trifft man dort auch auf den Künstler persönlich. Ihm kam die Idee zu seinem Projekt Verschwunden, als er die Quelle-Insolvenz in den Medien verfolgte. Quelle – ein Unternehmen, an dem viertausend Menschen hingen. Viertausend Menschen, die mit einem Schlag arbeitslos wurden. „Arbeitslosigkeit kann immer jeden treffen“, sagt Martin Rehm. Das tiefgründige, gesellschaftlich relevante Thema interessierte ihn. Aus der ersten Idee entwickelte er ein Konzept: „So wie die Firmen verschwunden sind, so verschwinden die Menschen in den Bildern.“ Auf jeder Fotografie ist ein einzelner Mensch zu sehen, der für all die anderen steht, die wegen einer Firmenpleite arbeitslos wurden.
Um die Protagonisten für die Bilder zu finden, verbreitete er über lokale Medien sein Vorhaben. Diejenigen, die sich meldeten, waren dankbar, dass sich jemand dafür interessierte. Hinter jedem Bild steckt eine Geschichte, ein Einzelschicksal. Der Protagonist des Quelle-Bildes beispielsweise war gerade in der Ausbildung, als das große Unternehmen schließen musste. Aber auch ein insolventer Ein-Mann-Betrieb ist Teil der Fotoserie. Dem Fotografen geht es darum, die Vielfalt der Firmen abzubilden, die schließlich alle wichtig für die Wirtschaft sind.
Menschenleere Gebäude
Die Mitwirkenden wurden durch das Projekt mit ihrem ehemaligen Arbeitsplatz und alten Erinnerungen konfrontiert. Wenn sie die verlassenen Orte sahen, mussten sie meist erst einmal tief durchatmen. Manches hatte sich kaum verändert, wie die Einrichtung in der Kantine oder der Werkstatt. Anderes dagegen war völlig anders: Die Blumenbeete waren zwar an Ort und Stelle, aber vertrocknet. Die Gebäude standen zwar noch, aber sie waren menschenleer. Dennoch haben diejenigen, die einst dort arbeiteten, Spuren hinterlassen. Unsichtbare Spuren. Indem die früheren Mitarbeiter auf den Bildern verschwinden, erinnert Martin Rehm an sie. Er erinnert daran, dass diese Orte einmal voller Leben waren. Außerdem will er mit seinen Fotos zeigen, wie schnell ein Unternehmen insolvent gehen kann – jedes, jederzeit. Nicht ohne Opfer. Die Bilder können nachdenklich machen.
Während des Projekts hatte der Fotograf einen bekannten Künstler im Hinterkopf: Den Chinesen Liu Bolin, der unter anderem vor einem Bagger verschwindet. Mit der Fotografie des Baggers zitiert er den Künstler. Eine andere Gemeinsamkeit ist, dass beide den Effekt mit viel Aufwand und Farbe erreichen. In Nürnberg war es Bodypainter Simon Dastig, der die Protagonisten in zwei bis drei Stunden detailgetreu anmalte, bis sie mit dem Hintergrund verschmolzen. Auf den ersten Blick entdeckt man sie nicht, womöglich nicht mal auf den zweiten. Die Freude, wenn man sie dann findet, ist umso größer.
Patricia Achter
Das ist eine wundervolle Idee und macht das Wesentliche deutlich. Ausgesondert, abgehakt, vergessen und unsichtbar alles das fühlen Menschen, die im Rationalisierungswahnsinn verloren gehen. Auch die Umsetzung der Idee ist einmalig und beeindruckend.