Fabian, radikal unzensiert

Cover zu "Der Gang vor die Hunde", Quelle: Atrium Verlag AG

Cover zu „Der Gang vor die Hunde“, Quelle: Atrium Verlag

Endlich liegt sie vor: Die Originalfassung von Erich Kästners Roman Fabian. Geschichte eines Moralisten – ungekürzt und mit dem ursprünglich von Kästner vorgesehenen, pessimistischen Titel Der Gang vor die Hunde versehen. Das erstmals 1931 erschienene Buch portraitiert die Berliner Gesellschaft, kurz vor dem politisch-ethischen Untergang der Weimarer Republik und gilt, so Marcel Reich-Ranicki, als Plädoyer für die Vernunft in Zeiten der Unvernunft. Da es aber dem damaligen Lektor Curt Weller in manchen Passagen zu krass war, wurde der Titel verändert und Kürzungen vorgenommen. Diese Zensur wurde nun behoben.

Der Gang vor die Hunde skizziert literarisch brillant und unterhaltsam den Untergang der republikanischen Gesellschaft, anhand der Geschichte des Fabian Jakob, eines arbeitslosen Germanisten und dessen Freunde, die distanziert das Berliner Leben betrachten, aber auch daran partizipieren. Es finden sowohl kulturelle Freiheiten, der ständige Rausch, das rege Bordellleben, illegale Bars, die Totalität der Extravaganz und Dekadenz – kurz: der Tanz auf dem Vulkan – und sozioökonomisch-proletarisches Elend, als auch die Straßenschlachten von Kommunisten und Nationalsozialisten ihre Erwähnung, bis hin zum schicksalsironischen, metaphorischen Tod Fabians, der ein ertrinkendes Kind zu retten versucht, ohne selbst schwimmen zu können – ein naiver Rettungsversuch der Republik, ohne fähige Mittel zu besitzen.

Sex und Politik – roh und radikal

Eigentlich waren noch zahlreiche Passagen vorgesehen, die politisch dreist wirkten oder sexuelle und medizinische Vorgänge recht plastisch, roh und derb darstellten, die im Fabian aber gestrichen wurden und nun vorliegen. So werden Stil und Inhalt des Romans untermauert und radikalisiert.

Filigran editiert wurde der Roman vom Germanist und Kästner-Experten Sven Hanuschek im Atrium Verlag, der schon in Zeiten des Nationalsozialismus die verbotenen Werke Kästners in der Schweiz herausbrachte. Außer der ungekürzten Fassung, finden sich in diesem Schmuckkästchen von Buch Kästners Nachwort für Sittenrichter und dem Nachwort für die Kunstrichter sowie zwei Vorworte, nämlich zur Neuauflage 1946 und 1950. In einem Nachwort erklärt Hanuschek den Sinn der Urfassung, die, durch die politisch-ethischen Provokationen und die sexuelle Offenheit unser Kästner-Bild verändern würden. Zuletzt ist auch ein umfassender Literaturapparat angehängt, der allen Kästner-Interessierten nützlich sein wird.

Phänomenologie des Niedergangs

Obgleich sich schon wegen dem Anhang das Buch lohnt, wird der Roman das Kästner-Bild nicht prinzipiell ändern: Häufig finden sich einzelne neue Sätze oder Abschnitte, die dem Roman mehr Witz, Schärfe oder Radikalität geben; komplett neu sind dann aber nur zwei Szenen: Die erfreulich eklige Schilderung der Blinddarmoperation von Herrn Breitkopf, und die Busfahrt von Fabian und Labude, die sich laut und pennälerhaft über Berlins Sehenswürdigkeiten lustig machen. Jedoch sind die neuen Passagen im Text nicht gekennzeichnet – dies wurde in die editorische Notiz transferiert –, aber es war auch nicht die Intention Hanuscheks eine wissenschaftliche Ausgabe zu kreieren. Auch wird so der Lesefluss nicht durch editorische Marginalbemerkungen durchbrochen.

Portrait von Erich Kästner. Urheber und Quelle: Wikipedia Commons/ Paulae

Portrait von Erich Kästner. Quelle: Wikipedia Commons/ Paulae

Komplett umgekrempelt wird unser Kästner-Bild durch Der Gang vor die Hunde ergo nicht werden. Dennoch handelt es sich bei dem Roman um ein großes Leseereignis, um einen Fabian, wie man ihn noch nicht gelesen hat, voll von Politik, Sex, Gewalt, Untergang und dem Moloch der Moderne – eine radikal-derbe Phänomenologie des Niedergangs!

 

Erich Kästner: Der Gang vor die Hunde, Atrium Verlag AG, Zürich 2013. 340 Seiten, gebunden, 22,95 Euro.

Philip J. Dingeldey

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