In „An meinen toten Vater“ zeichnen Holger Foest und Marie Rodewald eine Chronik der Trauer und des Lebens mit dem Tod.
Der Tod ist eine abstrakte Grenze, er ist die Grenze aller Grenzen oder wie Horaz es einmal formuliert hat: er ist die „äußerste Grenze alles Irdischen“. Wenn sie überschritten wird, hinterlässt das bei den Angehörigen Lücken, erzeugt das ein Nachdenken über dieses existenzielle Ereignis – ein Nachdenken, das sich in der aktuellen Performance der RodewaldFoest Produktion, einem autobiografischen live feature, künstlerisch manifestiert hat. – ein Text von Bärbel Schärf
Der Tod des Vaters von Holger Foest im Februar 2011, welcher neben der Autorin und Regisseurin Marie Rodewald Teil der RodewaldFoest Produktion ist, gab den Impuls für diese äußerst intime und subtile Performance, einem Netz aus Assoziationsketten, aus Erinnerungen und Träumen, einem Nebeneinander von auditiver und visueller Ebene, die doch eine Einheit bilden.
Chronik der Trauer
Alles beginnt mit einer Einführung. Die kleine Gruppe an Zuschauern, die wir sind, erhält im Raum vor der Bühne MP3-Player und Kopfhörer von Marie Rodewald. Die Tonebene wird während der Aufführung ausnahmslos auf diese Weise vermittelt werden, die Körper der Performer – Holger Foest und Lothar Krüger – werden die Worte illustrieren und unterstützen, und doch wieder ganz neue Bedeutungen generieren, noch vielfältigere Assoziationen wecken.
Trauer und Schmerz sind in diese Körper wortwörtlich eingeschrieben. Das Wort „Lücke“ ist auf Foests Rücken zu sehen, auf seinen Armen, seinen Beinen. Wie Wunden heben sich die Worte vom Rest des Körpers ab, während auf der auditiven Ebene eine Art Chronik der Trauer und von Geschehnissen und Eindrücken rund um diesen Tod abläuft: Februar bis Juli 2011. Fukushima, Hiroshima, Bochum, Wuppertal, Island. Eine einsame Popcornmaschine, Schaufenster, Fahrt ans Meer, Sand im Bett. „Der Rhythmus der Welt ist atemlos“, sie dreht sich trotz dieses einschneidenden Ereignisses weiter und sie dreht sich schnell. Die Anonymität der Großstadt, die Flüchtigkeit der Begegnungen, die Erwartungen des Umfelds: das wieder-leistungsfähig-sein-Müssen, sich wieder mitdrehen mit der Welt – und doch kreisen die Gedanken nur um das eine Thema, das eine Ereignis.
Zeitlosigkeit vs. Unwiederbringlichkeit
Beeindruckend hierbei ist, dass der MP3-Player – ein Medium, das eigentlich Distanz schafft, die Worte von den Körpern trennt, hier das genau Gegenteil bewirkt: Er erzeugt Intimität und Nähe, zusammen mit der absichtlich gering gehaltenen Anzahl an Zuschauern und dem Agieren der Performer in unmittelbarer Reichweite zum Publikum. Die konservierten, gespeicherten und immer wieder abspielbaren Worte, soundscapes und die Musik kontrastieren in eigenartiger Weise mit dem Livecharakter des Sichtbaren: Zeitlosigkeit steht der Einmaligkeit, Ewigkeit steht der Flüchtigkeit, der Ereignishaftigkeit – der Unwiederbringlichkeit gegenüber. Der Tod ist in alledem der Moment des Übergangs, von der Kette aus Lebens-Ereignissen hin zum Ewigen, zum Unvorstellbaren. Die Form der Aufführung geht in diesem Sinne eine Art Symbiose mit dem Inhalt ein, beide finden ineinander eine schöne Entsprechung.
Die Worte auf dem Körper verschwimmen, Lothar Krüger wäscht sie von Foests Haut herunter – Reinigung. „Die Lücke, die du hinterlässt, wird klarer.“ Die Farbe auf dem Körper verschwindet, er wirkt nun seltsam leer. Das Licht geht aus.