The old, the sick and the dying – who needs them?

StuffedPuppet_Mathilde01 Da hängt sie. Leblos, ein wenig makaber mit den Armen an einer Stange befestigt. Ist das nicht zu anstrengend für eine alte Frau? Aber halt! Noch ist sie nicht lebendig. Noch kann der Puppe diese unbequeme Haltung nichts ausmachen. Die Puppe ist nur Bühnenbild.

Bisher wird von ihrer Figur nur gesprochen. Mathilde wird 102 Jahre alt. Trotzdem hat diese Frau noch Mumm in den Knochen und vor allem ordentlich Haare auf den Zähnen. Die anderen Bewohner des Altersheims sehen dagegen recht traurig aus. Und die geldgierigen Unternehmer fürchten sich vor den Journalisten, die mit den Patienten persönlich sprechen wollen. Warum reichten ihnen denn die Luftballons und der Hund auf dem Gruppenfoto nicht? Journalisten sind gefährlich: Sie könnten herausbekommen, dass nach den Besucherzeiten der Strom abgeschaltet wird.

StuffedPuppet_Mathilde03The old, the sick and the dying – who needs them?

Eigentlich traurige Umstände, aber den Puppen mit den großen, glitzernden Augen und den herrlich geknickten Gesichtern wird immer wieder Komödiantisches entlockt, in langen Blicken und doubletakes wie bei Laurel & Hardy. Und so balanciert Neville Tranter geschickt zwischen Komödie und traurigen, berührenden Momenten in „Szenen aus dem Altersheim“.

Beispielsweise erzählt er uns die Geschichte vom sterbenskranken Bruder, der seiner kleinen Schwester, auf die er ein Leben lang aufgepasst hat, einen Platz im Altersheim suchen muss. Oder vom verstörten alten Mann, der bittet, man möge die Tür öffnen, seine Mutter würde ihn auf der anderen Seite erwarten. Mathilde sucht immer wieder nach der Puppe mit den roten Wollhaaren, die ihr Jean-Michel vor langer Zeit – vor dem Krieg – mit dem Versprechen schenkte, zurück zu kommen und mit ihr tanzen zu gehen. Sie hat Angst, dass er sie ohne diese Puppe nicht wieder erkennt.

Die beiden Unternehmer schauen dem Publikum fest in die Augen, lachen gehässig und bemerken: „The old, the sick and the dying – who needs them?“ und stellen damit vielleicht auch die Frage, die als das Thema des Stücks gelten könnte. Das Publikum lacht verlegen. „Sie können nicht uns meinen,“ denkt es. „Wir sind noch nicht so tattrig, wie diese Puppen auf der Bühne.“ Abwarten.

StuffedPuppet_Mathilde04Who are you? Why are you dressed in black?

Es ist unglaublich, wie  Neville Tranter jeder Puppe eine andere Stimme, einen anderen Charakter und einen eigenen Gang zu gibt. Da steckt vermutlich lange Beobachtung dahinter und natürlich auch ein großes Können im Umgang mit den Puppen selbst.

Mehrmals im Stück bemerken die Puppen den schwarz gekleideten Menschen, der so verdächtig nah neben ihnen steht. Einen kurzen Moment scheint es so, als käme einer der Puppen sogar der Gedanke, dieser Mensch könne ein Teil von ihr sein, sie gar führen. Mathilde selbst tanzt mit dem Menschen in Ersatz für ihren Liebsten. Aber diese Augenblicke gehen mit einem kurzen Kopfschütteln vorüber. Neville spricht nicht zu seinen Puppen.

Es ist ein ganz besonderer Augenblick, als der Puppe Mathilde Leben eingehaucht wird. Nicht hinter dem Vorhang, sondern vor den Augen des Publikums: Erst leblos, dann ein leises Zucken, als Neville Tranter’s Hand in ihren Körper fährt und dann schnarcht und flucht die alte Dame wie ein Kesselflicker und zieht ihren sehnigen, zähen Körper an der Reckstange empor. Toll!

Paula Linke

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