Von Ziegenverkäuferinnen

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Bildnachweis: Ali Golshan und Masud Naseri. Aus: Mansoureh Shojaee: Sharzades Schwestern. Frauen im Iran, S. 16.

Wie schwarze Säulen ragen sie vor der ausgezehrten Landschaft auf. Sie tragen rote Gesichtsmasken, durch deren Schlitze man Augen erkennen kann. Magische Hände sind es, die die Ziegen der Männer und Väter zusammentreiben und alle Arbeiten zu Hause verrichten. Und deren Besitzerinnen gleichzeitig wissen, dass es wegen der verkauften Ziege zu Hause an Essen mangeln wird. Es sind „Frauen, die nichts besitzen, aber die ganze Last des Lebens auf ihren Schultern tragen.“

Der vergangene Mittwochabend wird von den zahlreichen Besuchern des Kunstpalais wohl nicht so schnell vergessen werden. Die iranische Exil-Autorin Mansoureh Shojaee erzählte von Ziegenverkäuferinnen, Gefängnisbriefen und der Frage, was es heißt, in einem fremden Land leben zu müssen. In melodischem Farsi präsentierte sie Texte aus ihrem neuen Buch „Sharzades Schwestern. Frauen im Iran“ sowie Ausschnitte aus Gefängnisbriefen, die sie nun im Exil rekonstruiert hat. Zur Verständlichkeit wurden die Texte auch auf Deutsch vorgetragen.

„Ich bin eine Reisende“

Shojaee war von 1972 bis 1994 als Übersetzerin in der Nationalbibliothek Teheran tätig. Von dort aus arbeitete sie mit internationalen Hilfsorganisationen zusammen und bemühte sich um den Ausbau von Wanderbibliotheken für Frauen und Kinder. Zusammen mit der iranischen Friedensnobelpreisträgerin Shirin Ebadi engagiert sie sich für ein iranisches Frauenmuseum.

Die Kettenmorde an Schriftstellern nach 1998 führten dazu, dass sich iranische Autorinnen zunehmend auf Literatur und Fiktion beschränkten, anstatt aktuelle Probleme zu thematisieren. Auf Journalistinnen und Aktivistinnen übte das Regime besonderen Druck aus. Auch Shojaee erlitt zwischen 2006 und 2009 zahlreiche Repressionen, worauf sie schließlich ihre Familie und den Iran verließ. Derzeit sind 45 iranische Journalisten inhaftiert. Schriftstellerinnen und Aktivistinnen arbeiten strikt getrennt voneinander, da sich die eine Seite nicht von der anderen gefährden lassen will. Shojaees Stimme klingt verbittert, während sie erzählt.

„Ich bin eine Reisende, die jahrelang durch Dörfer und kleinere Städte zog und sich dort zusammen mit Frauen und Müttern für Schulbildung, Alphabetisierung, Bibliotheken und Seminare für Gleichberechtigung einsetzte. Jetzt hat man auch mich von diesen Orten vertrieben.“ – Mansoureh Shojaee, „Sharzades Schwestern. Frauen im Iran“

Shojaee wurde 2009 zum dritten Mal festgenommen und ohne Gerichtsbeschluss inhaftiert. Ein Schriftsteller, der im Gefängnis sitzt, schreibt. Mansoureh Shojaee musste sich ihre Möglichkeiten dazu erst schaffen. Während einem Verhör nahm sie einen Kugelschreiber an sich und schrieb auf Taschentücher, die während der Haft zur Verfügung standen. Durch Kameras wurden ihre Schreibversuche jedoch von Anfang an bemerkt. Nach der Enteignung durch die Gefängniswärterin und ihrer Freilassung lebte Mansoureh Shojaee unter ständiger Beobachtung, sodass es ihr unmöglich war, ihre Notizen zu rekonstruieren.

Mansoureh Shojaee erzählt von „einem rasenden Herz voller Hoffnung“, der Zeit im Gefängnis, von fünf Frauen auf zehn Quadratmetern, Inventarlisten und vor Allem vom Tag der Entlassung. An jenem Tag wurden Demonstranten festgenommen – Shojaee befürchtet, ihr Sohn könnte darunter sein. Sie weigert sich zu gehen und wird schließlich gegangen, ebenso wie sie kurze Zeit später gedurft wird, den Iran zu verlassen. Sie hört von einem schwarzen Stift und Schuhen, die sich häufen, „sind deine darunter?“. Als sie herausgeschleppt wird, rufen ihre Zellengenossinnen ihr hinterher: „Grüße alle da draußen!“

„Freiheit“ im Kunstpalais

Die Lesung erfolgte im Rahmen der aktuellen Ausstellung „Freiheit“ im Kunstpalais, der insgesamt zwölf internationale Künstlerinnen und Künstler ihre Stimme leihen. Mathias Döpfner schrieb in „Die Freiheitsfalle“ von der unterschiedlichen Auslegung des Begriffs „Freiheit“:

„Die Europäer bestaunen und kommentieren, wie Amerikaner, Chinesen, Inder, Brasilianer oder Araber die Welt verändern. Die Verteidigung der Freiheit als universaler Wert hat in Europa kaum noch eine kraftvolle Stimme. Die alte Welt ist alt geworden.“ – Mathias Döpfner, „Die Freiheitsfalle“

Die zwölf Künstler, größtenteils aus Asien oder dem nahen Osten, werden zumindest ihre eigene Perspektive auf das aktuelle gesellschaftliche Thema beleuchten. Workshops sollen Besucher in das Thema einbinden.

PEN und das „Writers- in Exile“ – Programm

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Von links nach rechts: Mercedes Salehpour, Mansoureh Shojaee und Franziska Sperr.

An der Seite Shojaees war als deutsche Vorleserin ursprünglich Christa Schuenke vorgesehen, deren Posten jedoch Franziska Sperr übernahm. Sperr ist die Vizepräsidentin und Writers-in-Exile Beauftragte des PEN- Zentrums Deutschland, bei dem Shojaee ein Stipendium erhalten hat. Mercedes Salehpour vermittelte den ganzen Abend als Dolmetscherin zwischen Shojaee und den Besuchern. Salehpour ist zweisprachig in Hamburg aufgewachsen und arbeitete zeitlebens an der deutschen Botschaft in Teheran.

Agnes Bidmon und Manuel Illi vom Lehrstuhl für Neuere deutsche Literaturgeschichte moderierten die Lesung und stellten die PEN- Organisation vor, die Schriftstellern im Exil helfen soll.

PEN setzt sich aus 150 Zentren weltweit zusammen, die sich für die Rettung und Aufnahme verfolgter Schriftsteller einsetzen, was selten genug gelingt. Das „Writers-in Exile“- Programm verteilt sich in Deutschland auf sechs Städte, in denen den Trägern des einjährigen Stipendiums komfortable Wohnungen bereitgestellt werden und diese zusätzlich mit Unterhaltszahlungen rechnen dürfen. Die Exilanten werden bei  Behördengängen unterstützt und durch die Einlebung begleitet. Die Organisation von Leseabenden soll neue Perspektiven eröffnen. Manche Schriftsteller können niemals in ihre Heimat zurückkehren und werden deshalb von PEN bei der Durchführung eines Asylantrages, der Organisation eines Flüchtlingspasses oder dem Antrag auf die deutsche Staatsbürgerschaft unterstützt. Die besondere Aktivität des deutschen PEN- Zentrums entsteht aus der so genannten „Dankesschuld“, die sich aus der Aufnahme deutscher Flüchtlinge zu NS- Zeiten erklärt.

Mansoureh Shojaee hat ihr neues Buch in drei Sprachen veröffentlicht. Sie spricht von einer globalen Schwesternschaft, die sich durch das Internet ausbildet, und betont, wie wichtig das gegenseitige Verständnis ist. Durch ihre Lesung hat sie Shojaee mindestens einigen Besuchern den Blick erweitert.

„Ich war schon viele Male auf dem Donnerstagsmarkt von Minab und habe darüber geschrieben; die bunten Körbe, die Suppenschalen mit Suragh, die roten Masken und das viele Schwarz offenbarten auf den ersten Blick das Elend und die Härte dieses schwer erträglichen Lebens. Durch die Binsen der geflochtenen Körbe meinte ich das Meer zu hören … das Kräuseln und Wogen im Persischen Golf … und ich roch den tranigen Duft des roten Suragh.“ – Mansoureh Shojaee, „Sharzades Schwestern. Frauen im Iran“

 

Anna Greger

 

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