Jemand musste Joseph K. verleumdet haben,…

@Jochen Quast: Daniel Seniuk (im Hintergrund: Ensemble)

@Jochen Quast: Daniel Seniuk (im Hintergrund: Ensemble)

Am Donnerstag (21.2.) hatte „Der Prozess“ im Markgrafentheater Erlangen seine Premiere. Der Zuschauerraum war sehr gut gefüllt, Kafka’s Werk zieht offensichtlich viele verschiedene Generationen ins Theater. Unter der Regie von Constanze Kreusch („Kohlhaas“, „Leonce und Lena“) und der Dramaturgie von Julie Paucker ist eine moderne Fassung enstanden, die dem Text Kafka’s viel Raum lässt und ihn mit Schmankerln fürs Auge (Bühne und Kostüme von Petra Wilke) und spannenden Details versüßt.

@Jochen Quast: Christian Wincierz, Anja Thiemann, Daniel Seniuk

@Jochen Quast: Christian Wincierz, Anja Thiemann, Daniel Seniuk

Es ist so eine Sache mit Kafka. Fast jeder Schüler in Deutschland liest seine „Verwandlung“ oder den „Prozess“, dabei hätten nach seinen Anweisungen Kafka’s all seine Schriften nach seinem Tod verbrannt werden sollen. Offensichtlich war er nicht einer von den Typen, die sich für die Ewigkeit ein Denkmal setzen wollen. Oder er befand sein Geschriebenes als zu schlecht. Wie auch immer, sein Wunsch wurde missachtet und heute schlagen sich alljährlich Gymnasiasten mit seinen Schriften herum, mal mehr, mal weniger begeistert. Entweder sie hassen ihn, weil ihnen seine Welt zu skurril erscheint und sie immer und immer wieder mit dem einen und einzigen Interpretationsansatz gequält werden, der auf Kafka’s Vater-Sohn-Komplex beruht – neben der Psychoanalyse, dem Über-Ich, Ich und Es wird Kafka doch total vergessen. Oder sie lieben ihn, weil sie sich in ihrer jugendlichen Zerissenheit von seinen Gedanken ebenso angezogen fühlen wie von Hesse’s „Steppenwolf“. Jedenfalls haben die meisten nach der Schullektüre wenigstens „kafkaesk“ in ihren Wortschatz übernommen und wenden es seitdem an, wo sie nur können.

@ Jochen Quast: Benedikt Zimmermann, Robert Naumann

@ Jochen Quast: Benedikt Zimmermann, Robert Naumann

Doch was ist „kafkaesk“? War diese Aufführung kafkaesk? Regisseurin Constanze Kreusch ist laut Intendantin Katja Ott eigentlich fern von dieser düster, nebulösen Welt geblieben, die wir uns unter diesem Wort vorstellen. Mit einem dynamischen, sehr jungen Ensemble (bestehend aus Violetta Zupancic, Anja Thiemann, Robert Naumann, Christian Wincierz, Benedikt Zimmermann und Daniel Seniuk) schuf sie tatsächlich eher eine klare, text-orientierte Inszenierung, in der, außer an den gelegentlichen Anlehnungen an Raubtiere, der düstere Aspekt kaum zu spüren war. Dennoch wurde man innerhalb der zwei Stunden in einen tiefen Sog gezogen. Schritt für Schritt verheddert sich hier K. (überzeugend gespielt von Daniel Seniuk) immer tiefer in die Wirren seines Prozesses. Weder weiß er, wer ihn angeklagt, noch, aus welchem Grund. Und obwohl man ihm versichert hat, seine Verhaftung werde seine gewöhnliche Lebensweise nicht behindern, versinkt K. während des Versuchs, sich gegen so viel Ungerechtigkeit zu wehren, in seinem Prozess wie in einem Sumpf – je mehr er strampelt…

@Jochen Quast: Daniel Seniuk, Violetta Zupancic

@Jochen Quast: Daniel Seniuk, Violetta Zupancic

Ein Jahr lang sucht er Hilfe und dieses Jahr verstreicht anhand von großen Rollen Aktenpapier, die neben den Bürotischen das minimalistische Bühnenbild bestimmen. Ein Jahr lang sucht er den einen Menschen, der bei seinen Erzählungen den Kopf schüttelt, die Strin runzelt und ihm zustimmt, dass es bei der ganzen Sache seltsam und nicht ganz koscher zugeht. Aber alle scheinen seinen Prozess als selbstverständlich anzusehen und so muss er sich letzendlich fügen. Oder doch nicht? Ist noch Hoffnung? Ist noch Hilfe? Gibt es noch Einwände, die noch nicht gemacht wurden? Könnten sich nicht all die Frauen, die er kennt, zusammen tun und gemeinsam für ihn kämpfen? Denn die Frauen, das sind die Menschen, von denen K. glaubt, sie hätten die Macht in diesem “ System, dass ja nur aus Frauenjägern besteht.“ Jede von ihnen scheint ein Funken Hoffnung zu sein, ein Wegweiser und eine willkommene Ablenkung. Die eleganten und verrucht anmutenden Kostüme unterstützen die Exklusivität dieser Frauen. Jedoch während das Jahr verstreicht, begegnet K. so vielen Menschen, jede dieser ruhigen Begegnungen unlogischer als die andere und keine wirklich hilfreich. Und während die kleine Mücke immer energischer zappelt, nähert sich ihr bedächtig die Spinne, um ihr irgendwann sanft in den Nacken zu beißen und ihr das zarte Genick zu brechen.

Hier wird uns Erzähltheater in seiner prächtigsten Form geboten, in welcher Kafka’s Werk eine Tendenz zum Humor aufweist, die wir bei diesem düster, melancholischen Menschen niemals vermutet hätten.

Hin gehen, es lohnt sich!

Paula Linke

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