Generation „50 +“: Die GRRRolling Stones rollen wieder

Die Alpha-Tiere des Rock’n’Roll sind zurück und – sie rollen wieder. Im September haben die Rolling Stones mittels eigener Smartphone-App und ‚augmented reality‘-Spielereien zur globalen Gorillajagd geblasen, um auf ihre neueste Greatest Hits-Kollektion „GRRR!“ aufmerksam zu machen – werbetechnisch sind sie auf dem neuesten Stand. Zwei Konzerte in London sind bestritten, sie spielen noch immer ihre zweieinhalb Stunden, überziehen subversiv die Sperrstunde und nehmen die Strafe in Kauf. Das sollte bei den Ticketpreisen kein Problem sein. Drei weitere Shows sind noch vor Weihnachten in den USA angekündigt: das Motto „50 & counting“ lässt wieder einmal raten und staunen, wie weit sie es dieses Mal bringen. Nachdem sie im Sommer eine Fotoausstellung eröffnet haben, bringen sie auf „GRRR!“ nun zwei neue Songs und hüten ihren Kanon. Überraschend ist nur die Reihenfolge und welche Songs sie dazu zählen und welchenicht. Man täusche sich nicht: das Repertoire der Rolling Stones funktioniert nach ähnlichen Gesetzmäßigkeiten wie der Rosenkranz. Dessen Wiederholung wird auch nie langweilig.

 

Stones deluxe

 

Hierzulande reden wir über die Beatles und die Stones, wie wir über Goethe und Schiller reden, mit dem Unterschied, dass die Letztgenannten im Theater hinter der Bühne agiert haben. Zudem waren die Rolling Stones nach ihrer klassischen Epoche weitere vier Jahrzehnte produktiv, von der Romantik bis in die Postmoderne. Wer sie kennen lernen will, sollte „GRRR!“ unter dem Christbaum finden – von zwei CDs mit 40, drei CDs mit 50 Songs oder der ‚Deluxe Edition‘ bis zur ‚Super Deluxe Collector’s Edition‘ mit vier CDs, 80 Songs und exklusiven Gimmicks ist für jeden Geldbeutel etwas dabei, und der Empfänger ist damit versorgt von der ersten Single, inklusive Soundtrack der 68er-Revolte und romantischer Erinnerungen ganzer Generationen bis zum neuesten Schrei.

Die einzelnen Titel ihrer Hits nachzubeten wäre müßig, für jeden sind es andere, die in ganz bestimmten Momenten gezündet haben. Zwei Drittel der Songs auf „GRRR!“ sind von ’62 bis ’77, nur 17 aus den 35 Jahren danach: das Jugendwerk ist nach wie vor überrepräsentiert. „Gloom and Doom“ entwickelt den kompakten Sound des letzten Albums „A Bigger Bang“ (2005) weiter und ist bei YouTube mit computeranimiertem Text zu finden (http://www.youtube.com/watch?v=rPFGWVKXxm0), ebenso wie das erstaunlich einfallslose „One more shot“ (http://www.youtube.com/watch?v=iecBKNWn6hc).

Wer sich an die Rolling Stones gewöhnt hat, kann getrost auf „GRRR!“ verzichten und sich zur Erweiterung des Spektrums eines ihrer 25 Studioalben gönnen. Man kann damit nur eines falsch machen: es nach drei- oder fünfmal hören enttäuscht weglegen. Wie ein satter Roman erst nach 50 Seiten schmackhaft wird, braucht ein Stones-Album zehn Mal oder auch zehn Jahre, bis es ins Ohr und ins Blut geht, dann aber rollen sie und rollen und rollen. Im Radio hört man sie kaum noch, darum sollte eine gewisse Dosis Rolling Stones in keiner Hausapotheke fehlen. Das Sparschwein für das nächste Konzertticket sollte man allerdings schon gehörig mästen.

The Rolling Stones: GRRR! (Greatest Hits), Universal/Polydor 3122690 (3 CDs ca. 20 Euro, auch andere Formate)

Thomas Werner

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