
Thorsten Fröhlich für Benecke.Com
Und es hätte alles so einfach sein können. Anstatt sich für das Rätsel des geschlossenen Raums zu entscheiden, fällt die Wahl des Publikums auf das „Serienmord Special“. Da hat man sich nicht zu beschweren, wenn Säcke mit Teilen von Kindsleichen oder madenbedeckte Männerkörper ins Bild kommen – ohne Arme, Beine und Kopf, wohlgemerkt.
Dabei fing der Abend ganz unaufgeregt an: Fotos von der Berliner Volksbühne und dem Inneren eines dieser naheliegenden Hostels erscheinen auf der riesigen Leinwand, vor der sich Mark Benecke an seinem Schreibtisch postiert hat. Wie sich zeigt, rasiert im abgebildeten Hostel ein türkischer Barbier die Gäste. Einfach so. Unlogisch, meint Mark Benecke dazu. Aber so sei das nun mal. In seinem Job lerne man schnell, dass die Dinge, die man sieht, nicht unbedingt Ergebnis einer durch Logik zu erklärenden Ereigniskette sein müssen. Allein das im Hintergrund des Fotos zu erkennende Plakat erkläre den Zusammenhang der Rasieraktion: Movember, der Monat der Männergesundheit, stand bevor. Aus welchem Grund auch immer gehöre es bei dieser Aktion nun dazu, dass sich Männer aller barttragefähigen Altersgruppen einen Schnurrbart wachsen lassen, ausgehend von einer spiegelglatten Rasur. Selbst bereits bestehende Schnurrbärte müssen abrasiert werden. Warum? Ist halt so.
Mit diesem Beispiel will Benecke zeigen: Ziel eines jeden Forensikers ist es zuerst, nicht zu denken, den Denk-Schalter einfach mal auf „Aus“ zu drehen. Stattdessen dürfe nur beobachtet werden. Beneckes großes Vorbild dabei: Sherlock Holmes: „Es ist bloß eine Kleinigkeit, aber gerade Kleinigkeiten sind oft von Bedeutung.“
Würzen oder nicht würzen?

Rocksau Pictures für Benecke.Com
Stichwort Kleinigkeit: Ist es von Bedeutung, wie ein Kannibale sein Menschenfleisch würzt? Ist es wichtig, ob er es roh verspeist, nur kurz anbrät oder gut durch brät und mit Pfeffer, Salz, Knoblauch und Muskat garniert? Der Saal überlegt. Man ist sich unschlüssig.
Mark Benecke löst auf: „Nein, ist es nicht“. Seine Recherche habe ergeben, dass die Zubereitungsart rein von der Kultur abhängt, der sich der Kannibale zugehörig fühlt. So zieht der Japaner sein Mahl eher roh vor, während es der Deutsche gut durch und gewürzt vorzieht. Im Fall des deutschen Bratmeisters wurde noch ein weiteres „pikantes“ Detail erwähnt: So habe man in seinem Mülleimer zwei merkwürdige Gewebereste gefunden, die sich erst niemand erklären konnte. Wie sich später herausstellte, waren es die zusammen geschrumpelten Hälften des Penis vom Opfer: Was den Tafelnden hier erst wie ein Leckerbissen vorkam, stellte sich gebraten als unverzehrbar hinaus. Ärgerlich. Aber Moment.
Den Tafelnden? Was es nicht eben noch Der Kannibale? Richtig! Zunächst hat das Opfer, das durchaus damit einverstanden war, schließlich verspeist zu werden, jedoch noch gelebt. Und da der Tod irgendwie doch schwieriger herbeizuführen war, als sich das die beiden so vorgestellt hatten, dachten sie, Mensch, da machen wir doch was, was uns beiden Spaß macht, und essen, hm, schon mal den Penis. Aber selbst nach getaner Arbeit starb das Opfer einfach nicht. Schließlich musste der sonst Gewalt verabscheuende Täter zusammennehmen und handgreiflich werden: Er stach dem Opfer in den Hals. Nicht sehr professionell, doch dieses Detail macht den Unterschied zwischen Mord und Totschlag, obwohl beide Beteiligten aus freien Stücken gehandelt hatten. Juristisch gesehen darf auf das eigene Leben allerdings nicht verzichtet werden, daher sitzt der Menschenfresser bis heute im Gefängnis.
Ganz nett, der Kannibale
Neben seiner abweichenden sexuellen Fantasie ist der Kannibale jedoch ganz nett, das darf man nicht falsch verstehen, fügt Mark Benecke hinzu. Der typische Kannibale sei nämlich kein Wiederholungstäter, deshalb total ungefährlich. So einer läuft nicht mordend durch die Gegend und vergräbt 300 tote Kinder im Wald. Nein, zu solchen Tätern kommt er jetzt, kündigt Mark Benecke an, in seiner saloppen und manchmal etwas ausschweifenden Art, die man toll oder auch nicht.
Da schluckt das Publikum. Und hatte man in dem vollen Saal einen Stuhl erwischt, konnte man sich gespannt zurücklehnen und Mark und seiner Frau und Vortragspartnerin Lydia Benecke (von Beruf Psychopathologin) zuhören, wenn sie über die „richtig bösen“ Serienmörder sprechen. Hatte sich das Publikum ja gewünscht.
Lukas Walenciak