Schuld und Verantwortung

„Kriech oder Orientierungshilfe für den Wertekompass“ – Garage Erlangen

Bild_1: v.l.: Melanie Lüninghöner, Daniel Seniuk, Hermann Große-Berg; © Jochen QuastSie tragen graue Anzüge, mit blitzenden Knöpfen und Schnallen. Sie wirken kalt, hart, unnahbar. Drei Schicksale prallen aufeinander, sie sind unter das Rad der Fortuna geraten und darin wirbeln sie haltlos umher. Sie tragen keine Namen, sind nur über ihren Beruf definiert: Der Soldat (Daniel Seniuk), der vor den Trümmern seiner Familie steht, weil er unter Einfluss von Posttraumatischen Belastungsstörungen einen Fehler gemacht hat. Der Bankmanager (Herrmann Große-Berg), der nur über Vitamin B zu seinem Job gekommen ist und dabei eben einen Fehler gemacht hat. Und die Wärterin (Melanie Lüninghöner), die auf einmal einen Fotoapparat in der Hand hielt, um festzuhalten, wie im Gefängnis Gefangene wie in Abu Ghraib gefoltert wurden.

Wie konnte das passieren? Na, es geschah doch alles auf Anweisung, auf Befehl! Doch ist diese Erklärung nicht zu einfach? Was sind die Folgen des eigenen Handelns, kann man sie absehen, und wer trägt sonst die Verantwortung an dem Schlammassel?

Es ist die erste Regiearbeit für Katja Blaszkiewitz am Theater Erlangen. Und es gelingt ihr in beunruhigender Weise, die Zuschauer in Atem zu halten. Es wird so schrecklich ruhig auf einmal, dass man eine Stecknadel fallen hören würde. Und dann wieder herrscht ein großer Lärm, um die Stimme des Gewissens nicht hören zu müssen, die der Wärterin leise ins Ohr flüstert (der Banker hat wohl wirklich keins). Das Eingeständnis. Womit sich das Gewissen nicht abfinden kann, oder will.

v.l.: Hermann Große-Berg, Melanie Lüninghöner, Daniel Seniuk;© Jochen Quast

Immer wieder werden Szenen von penetranter Musik untermalt, doch bevor sie nervig wird und verharmlost, winken die Figuren ärgerlich ab, mit einer raschen Handbewegung. Sie wollen nicht abgewürgt werden, sie wollen Aufmerksamkeit, sie wollen sich rechtfertigen.

Hin und her wendet der Schweizer Autor Marcel Luxinger die Begriffe „Schuld“ und „Verantwortung“, er dreht sie um, schaut drunter und schmeißt sie in die Ecke, um sie am Ende zerknittert wieder hervorzuholen. Ergibt es am Ende einen Sinn, wenn man es gegen das Licht hält? Nein, tut es nicht, doch es rettet den Schuldigen vor der eigenen Selbstzerfleischung. Es war doch nur ein Fehler.

Die Figuren sind beliebig, letztlich kann es jeden treffen. Das unterstreicht auch das einfache, aber sehr wirkungsvolle Bühnenbild (Kathrin Hauer): Einmal durch Milchglasscheiben geschaut, erscheint die Geschichte doch sehr undurchsichtig. Oder wurden die Wände gerade beiseite geschoben und man hat die Projektionen nur verdrängt? Die leise Stimme flüstert wieder. Nur scheinbar transparent, jedoch eigentlich undurchlässig.

 Was ist Schuld und wer trägt dafür die Verantwortung?

Es schieben sich Bilder der Erinnerung ins Gedächtnis, sie ziehen vorbei, fast wie gebratene Tauben im Schlaraffenland, aufgespießt am Fleischerhaken. Ob man sich etwas davon nimmt oder nicht, spielt keine Rolle. Das Leben meint es nicht immer gut mit einem, und es irrt der Mensch, so lang er strebt. Doch auch hochtrabende Floskeln machen den Fehler nicht rückgängig.

© Jochen Quast

Es ist ein grausiger Rundumschlag über die Übel der Welt, wenn auch mit Fokus auf USA: McDonald’s, Spiderman, Amerikaflagge. Distanziert betrachtet über den Bildschirm, den Fernseher, den Computer. Das Wort Bürgerkrieg ist so nicht mehr erschreckend und die Opfer nur noch eine unvorstellbare Zahl. Dazu pathetische Musik und man zweifelt ob der Richtigkeit des Gezeigten. Das kann doch gar nicht wahr sein, das ist doch alles inszeniert. Oder etwa nicht? Und die kleine Stimme flüstert…

Ein persönliches Highlight des Stücks ist die bachantische Freiheitsstatue mit schwarzem Hut und rot-weiß-blauem Kleid, das ihr wie ein Umhang gehalten wird von dem Mann mit Brautschleier und weißen Brautschuhen. Die Werte sind verdreht, in sich verkehrt, auf den Kopf gestellt. Da schüttelt die verschwenderische Göttin des Weins verführerisch mit den Weintrauben vorm Gesicht herum. Amerika macht sich lustig, sieht keine Schuld und lockt trügerisch mit rosigen Zukunftsaussichten.

Es sind wahre Ereignisse, die auf der Bühne verarbeitet werden, so unvorstellbar, wie sie klingen. Dennoch wird nicht mit der Moralkeule um sich geschlagen. So mancher Zuschauer bleibt benebelt sitzen, nachdem der tosende Applaus verklungen ist. Ein wenig deprimiert vielleicht, weil die Welt so schlecht ist. Aber auch beeindruckt, weil die Aufführung so gut war.

 

„Kriech oder Orientierungshilfe für den Wertekompass“ in der Garage im Theater Erlangen.

Weitere Vorstellungen: 18.12., 19.12., 20.12.2012, 30.01., 31.01., 02.03.2013, jeweils ab 20:00 Uhr in der Garage.

Johanna Meyr

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