Zenit im Rückspiegel

Mit 18 verehrte ich Philippe Djian. Ich bin vermutlich nicht der einzige. Als ich älter wurde, verloren seine Bücher an Faszination. Die Radikalität, die mich anfangs anzog, entpuppte sich immer deutlicher als Bequemlichkeit (und somit als Problem).
Die ersten Bücher von Philippe Djian sind seine besten. Als er älter wurde, konnte er nicht mehr nachlegen. Es verlor sich immer weiter in einer schleichenden Belanglosigkeit. Er veröffentlicht fast jedes Jahr einen neuen Roman, aber man hat nicht den Eindruck, dass sich noch allzu viel Leute dafür interessieren. Bezeichnenderweise wird der Einband seines neuen Buches „Die Rastlosen“ verwendet, um für sein Hauptwerk „Betty Blue“ von 1985 zu werben. Bezeichnenderweise wird Djian auf dem Buchrücken immer noch als „Frankreichs Antwort auf Charles Bukowski“ betitelt. Ich glaube, für Bukowski interessieren sich mittlerweile noch weniger Leute als für Djian.
Was steckt dahinter?
Djian’s berühmtester Satz ist wohl: „Mir geht es nur um Stil und Sprache, weil ich keine Message habe, die ich weitergeben will.“ In diesem Satz liegt sein Hauptproblem. Djian’s Werk unterliegt keiner Idee. Djian verliert mit wachsendem Alter, mit wachsender Erfahrung an Kraft, Wut und Notwendigkeit. Kraft, Wut und Notwendigkeit machen seine ersten Bücher aus. Eins muss man ihm lassen: Sein neuer Roman besticht immer noch durch einen eleganten und bemerkenswerten Stil.

Der Protagonist Marc ist 53 Jahre alt und wollte Schriftsteller werden. Als er einsah, dass sein Talent dazu nicht reicht, wurde er Dozent. Er schläft mit den Studentinnen seines Creative-Writing Kurses. Er lebt zusammen mit seiner Schwester in einem Haus außerhalb der Stadt. Die Geschwister leiden unter einer tiefen psychische Verstörung, die sie keineswegs aufgearbeitet haben. Ihre Verstörtheit zwingt sie in Handlungsmuster, die ihr Leben denkbar verkomplizieren. Und dann wacht Marc auf und eine seiner Liebhaberinnen ist tot. Jetzt entwickelt sich ein Thriller, der zwischen aufgesetzter Paranoia und unterschwelligem Drive pendelt. Es entwickelt sich ein latenter Sog und man ahnt früh, dass die Figuren nicht heil aus der Story hervorgehen werden. Allerdings gehen sie auch nicht heil in die Story. Und es wird überhaupt kein Versuch unternommen, irgendwas zu klären.
Marc schimpft auf die Literatur der Gegenwart. Marc bestreitet Djian’s altbekannte Kreuzzüge gegen das Semikolon. Marc verliebt sich erstmals in eine gleichaltrige Frau: „Er schaute zu Myriam hinüber und fragte sich, ob Gott die Frauen geschaffen hatte, um die Männer zu quälen…“ Es gibt mehr von diesen lächerlichen Sätzen und man fragt sich immer wieder, ob man das überhaupt ernst nehmen soll. Und ständig werden oberflächliche Bemerkungen zur wirtschaftlichen und politischen Lage gemacht, die äußerst ermüdend sind. Außerdem: Marc hat Rückenschmerzen. Marc bricht sich das Steißbein. Marc hat Migräne. Marc ist natürlich unschuldig. Marc hat ständig dämliche Erläuterungen parat.

Man hat nicht den Eindruck, dass Djian wirklich wusste, was er mit diesem Roman wollte. Er wird vermutlich auch weiterhin solche Bücher schreiben und es ist nicht davon auszugehen, dass dabei noch mal was mit Substanz raus springt.

Philippe Djian: Die Rastlosen, Diogenes, 2012, Hardcover, 19,90€

Joshua Groß

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