Meine neue Freundin, oder: good kid, m.A.A.d city

„I’m trying to keep it alive and not compromise the feeling we love.“
Kendrick Lamar

Es war so: Ich saß im Waschsalon und hörte das neue Album von Kendrick Lamar. Meine Klamotten wurden von Zentrifugalkräften gegen die Trommelwand gedrückt und ich wollte eine Rezension schreiben. Meine ersten, gekritzelten Notizen beginnen so:
„Beeindruckende Atmosphäre…leicht hysterische Stimmlage unterstützt die Umgebung und den eigenen Schmerz, der eindrucksvoll ausgehalten wird. Was Kendrick ausmacht, ist die Klarheit und man merkt, dass er der Aufgabe wirklich gewachsen ist. Das ist ein 2Pac-Moment, den wir alle zelebrieren sollten. Sonst verpassen wir diese großartige Scheibe zwischen dem ganzen diffusen Getingel.
Der Hauptpunkt: Das Album ist zwar groß, aber keineswegs das Ende von Kendrick Lamars Möglichkeiten. Es ist wesentlich epochaler als Section.80, noch durchdachter und geduldiger ausproduziert. Es ist zeitgemäß und zeitlos, treibend, intelligent, ohne berechnenden Smash-Hit, was die Scheibe sehr komplett erscheinen lässt. good kid, m.A.A.d city ist ausladend, aber auf dem Punkt…Man muss sich Zeit nehmen, um die Platte zu hören. Ich höre sie im Waschsalon.“
Dann fuhr eine Frau im Rollstuhl in den Waschsalon. Ich kann nicht sagen, wie alt sie ist. Vielleicht ist sie 50. Vielleicht ist sie 70. Ihre Haare sind rot gefärbt. Sie hat saubere Fingernägel. Sie schaute mich an und sagte etwas mit verzogener Miene. Ich zog die Stöpsel aus den Ohren und schaute fragend. „Es ist kalt hier“, meinte sie. „Ja, die Tür war offen. Ich hab sie grad erst zu gemacht“, sagte ich aufrichtig. „Es ist kalt hier“, wiederholte sie lächelnd. „Junger Mann, ich will doch nur meine Suppe“, sagte sie. Ich verstand diese Äußerung absolut nicht. Ich sagte: „Soll ich Ihnen helfen?“ Sie antwortete: „Also die Suppe könnten Sie mir schon ziehen, junger Mann.“ Ich fragte perplex: „Wo ist denn hier Suppe?“ Sie drückte mir 50 Cent in die Hand und zeigte auf den Kaffeeautomaten. Es gibt in diesem Waschsalon tatsächlich Suppe. Ich zog eine Suppe. Würzige, dampfende Brühe floss in einen Plastikbecher. Ich stellte die Suppe auf den Tisch. Sie fuhr mit dem Rollstuhl vor und überprüfte die Suppe. Ich setzte mich hin und begann im Feuilleton der ZEIT zu lesen. Der Leitartikel ist nur halbwegs befriedigend. Sie rollte neben mich und lächelte. Meine Klamotten hatten noch 23 Minuten vor sich. In diesen 23 Minuten erzählte mir die Frau, dass sie fast täglich im Waschsalon rum hängt. Sie wollte mir einen Kaffee ausgeben. Es war kurz vor 23 Uhr. Ich lehnte ab. Ich glaube, sie mag mich. Sie bedauerte, dass ich kein Mädchen habe. Ich sagte, dass sich so was ändern kann. Sie sagte: „Einmal war ich alleine hier drin und die Tür war zu. Niemand war da und ich die Tür ist zu schwer für mich.“ Ich schaute prüfend zur Tür und sagte: „Haben Sie dann gewartet, bis jemand kam?“ Sie sagte: „Ja.“
Sie war sehr froh, als ich ihr wiederholt versicherte, dass ich ihr die Tür aufhalten werde. Ich hielt dir Tür auf. Als wir uns verabschiedeten, sagte sie professionell: „Vielleicht sehen wir uns mal wieder. Könnte doch sein. Man weiß so was nie…“ Ich sagte: „Ja, vielleicht sehen wir uns bald wieder.“ Sie sagte: „Könnte doch sein, dass wir uns mal wieder sehen.“ Ich sagte: „Bis nächste Woche.“

Joshua Groß

PS: Es führt kein Weg daran vorbei, sich good kid, m.A.A.d city zu beschaffen!
PPS: Es führt kein Weg daran vorbei…!

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert.