Schizophrenie und Stroboskoplicht

Die Nacht ist die Mutter, die Nacht hat die Macht: Frittenbude im E-Werk

Ach, es ist ein Kreuz mit der Nachtmusik. Die Atzen, die mögen Sie nicht? Das ballert ganz gut, hat aber zu viel Mallorca in der DNA und mit dem delirierenden Pöbel, der dazu bierselig in die Nacht grölt, wollen Sie nichts zu tun haben? Und Sie finden Deichkind zwar okay, seit die ihr Spektakel mit moderat kritischen Texten unterfüttern, würden aber trotzdem jedem gerne die Fresse polieren, der im unmittelbaren Wirkungskreis ihrer Fäuste was von „leider geil“ verzapft? Sie mögen Attitüde und Texte von, sagen wir, Ja, Panik oder den Türen, vielleicht sogar von der alten Tante Tocotronic, finden aber die ewig schrammelnden Gitarren zu bieder und einfach nicht basslastig genug? Keine Angst. Hilfe ist seit geraumer Zeit unterwegs, und zwar in Gestalt des Hamburger Labels Audiolith und deren Aushängeschildern Egotronic und Frittenbude – letztere sind am Donnerstagabend bereits zum zweiten Mal im E-Werk zu Gast und beliefern erneut all diejenigen, die sich den hedonistischen Freak-Out gerne mit angebrachtem politischen Überbau legitimieren lassen.

Es bleibt zu hoffen, dass Sie diesen oberen Absatz nicht allzu ernst genommen haben, selbstverständlich strotzt der nur so vor verdichteter Klischeehaftigkeit; grundsätzlich sollte man sich aber nichts vormachen: Bands wie Frittenbude und Egotronic oder die an diesem Abend als Vorband agierenden und ebenfalls bei Audiolith unter Vertrag stehenden Supershirt setzen brachiale Beats und kritische Texte zu etwas zusammen, was man mittlerweile mit dem etwas unzureichenden Etikett „Technopunk“ versehen hat und gewähren damit auch jener um Abgrenzung bemühten linksgerichteten Subkultur mit gemäßigter Antifa-Einstellung eine Permission to dance, die kaum etwas mehr hasst als die mainstreamig pumpende Suppe in den Großraumdiskos und alles, was sie damit in Verbindung bringen.

Pan­da­bär, Pan­da­bär, komm doch her, komm doch her: Frit­ten­bude und die tie­ri­schen Begleiter

Das Soundbild von Frittenbude selbst ist dabei gar nicht mal so unatzenhaft, auch hier werden die Beats ohne Pardon in die Menge gejagt und fleißig drübergerappt. Hin und wieder kämpft sich sogar eine Gitarre durch, während die Stroboskoplichter hyperventilieren und vor der Bühne die entfesselte Meute am Rad dreht. Wie bei den Kollegen von Deichkind, die zu plagiieren man Frittenbude zu Beginn ihrer Karriere noch vorgeworfen hatte, gilt auch hier die Devise: Man kann sich das alles natürlich auf Platte anhören, aber so richtig ernst wird es erst, wenn diese Songs live gespielt werden; was an diesem Abend im E-Werk wieder eindrucksvoll bewiesen wird. Frontmann Johannes Rögner reckt den ausgestreckten Mittelfinger in Richtung Saaldecke, vor der Bühne wird es ihm gleichgetan, der Sound schwillt an, die Erregung steigt, und schließlich entlädt sich alles in einem Stampfbeat par excellence und exzessiven Pogo; dazu tanzen die obligatorischen Frittenbudemaskottchen, der Panda, die Katze, der Delfin in ihren Plüschkostümen und fertig ist die Sause und fertig bald der Song, ehe das ganze Spektakel von vorne beginnt: Neuer Beat, neuer Song, immer weiter, bis es nicht mehr geht.

Man könnte jetzt sagen, dass Frittenbude das ziemlich schlau machen. Sagen, schau her, die sind clever, die lassen die ahnungslose Party-Crowd zu einem Song wie „Heimatlos“ abgehen, bei dem alle fleißig Heimatlos und Spaß dabei! mitskandieren – denn natürlich weiß die Band, dass ihr Publikum keinesfalls nur aus der Subkultur kommt, aus der sie selbst entstammt, natürlich weiß sie, dass viele Leute im Publikum genauso zu den Atzen abfeiern würden, wenn die an ihrer statt auf der Bühne stünden. Der Widerspruch zwischen der Bemerkung Rögners vor dem Song, bei der er seinem Unmut gegenüber der Fahnenschwenkerei beim Public Viewing Luft macht (was wenig bis gar keinen Jubel evoziert) und der Inbrunst, mit der das gleiche Publikum schließlich Heimatlos und Spaß dabei! mitbrüllt, ist dabei immanent.

Wenn sonst nichts hilft, dann eben der Finger nach oben: Frittenbude

Aber welchen Zweck kann es für die Band erfüllen, wenn die Leute scheinbar ahnungslos kritische Slogans mitbrüllen? Ist das ein Grund zur Häme, weil man ihnen so auf subversive Art und Weise eine Botschaft eintrichtert? Oder ist es nicht doch eher so, dass denselben Leuten völlig egal ist, was da genau gesungen wird, weil der wummernde Beat in der Magengrube das Hirn ohnehin weitgehend lahmlegt? Und wenn ja, wo ist er dann noch, der Unterschied zwischen einer hedonistischen Elektropunkband mit Botschaft und Sendebewusstsein und einer hedonistischen Elektrotruppe mit stumpfen Party-Parolen? Vermutlich wird dieser Unterschied ein jedes Mal, bei jedem Konzert, aufs Neue erschossen, von all den ballernden Beats, derweil die Menge ekstatisch tanzt und ihre Körper im Stroboskoplicht flackern.

Wenn Rögner dann später fleißig  jung und abgefuckt, jung und abgefuckt ins Mikro diktiert, ist dieser Widerspruch scheinbar bald vergessen, wenn es heißt wir sind superfertig, doch wir fühlen uns herrlich, hier ist keiner alleine, wir sind alle im Eimer sowieso. Die passende Legitimierung für den selbsterschöpfenden Freak-Out dazu gibt es in Songs wie „Ein Affentanz“ gleich mitgeliefert: Was wenn die Welt zerfällt, In Streit und Krieg, was wenn das Geld verwelkt, und die Zeit verfliegt – Ja, was bleibt dann, in solchen Zeiten, den Zeiten von Finanzdiktatur und Dauerkrise? Nur eines: Bass, Bass, Bass!

Vielleicht ist das symptomatisch. Vielleicht ist die Ohnmacht und Ratlosigkeit tatsächlich schon so weit voran geschritten, dass nur noch das Tanzen bis zur absoluten Erschöpfung bleibt. Die Nacht ist unser Diktator, und jeder Tag ein Rollator.

Bis es irgendwann nicht mehr geht, versteht sich.

 

Manuel Weißhaar

 

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