- Hannes Wader im E-Werk, 16.11.2011
Es ist ein Phänomen, das Phänomen der deutschen Liedermacher, das anscheinend einer anderen Zeit angehört. Namen wie Konstantin Wecker, Reinhard Mey, Hannes Wader sind eher in der Generation meiner Großeltern (60) präsent als in meiner. Schade eigentlich.
Gestern erst konnte ich wieder einmal feststellen, wie viel wir von dieser Generation lernen können, als nämlich Hannes Wader auf seiner Tour auch in Erlangen gastierte. Der große Saal des E-Werks ist sicherlich überschaubarer als beispielsweise die Halle der Arena in Leipzig (Reinhard Mey Tour 2011), aber dadurch auch gemütlicher, familiärer, angenehmer. Man kann die Gesichtszüge des Sängers beobachten, man fühlt sich ihm richtig nahe. Das hätte ich mir bei Reinhard Mey auch gewünscht. Dass dieser so große Hallen füllt, liegt sicherlich auch daran, dass, wie Wader gestern so schön formulierte, „Mey schon immer so charmant gewesen sei, er dagegen spröder.“ Es ist spannend, die Unterschiede zwischen den Stilen beider zu sehen, vor allem wenn man bedenkt, dass sie ihre erste Tour (ungefähr 1968/69) zusammen machten. Hannes Wader ist spröder, ja. Aber nicht weniger faszinierend.
Natürlich beginnt er sein Konzert mit dem altbekannten „Heute hier, morgen dort“ und natürlich singt er gegen Ende die „Moorsoldaten“. Was jedoch dazwischen geschieht, ist unglaublich spannend. Ich bin mir nicht sicher, was sein Publikum von ihm zu erwarten hatte. Ich kann nur zitieren: „Er singt auch auf Englisch? Das hat der doch vorher nie gemacht.“ Ganz klar: Einen Abbruch hat es dem Konzert nicht getan. Und auch nicht, dass er anfangs ziemlich oft seine Gitarre stimmen musste. Dadurch hatte er nämlich Zeit, ausladende Geschichten über die Entstehung der Lieder und der Liedermacher-Szene in Berlin um 1968 zu erzählen. Und so wurde aus einem einfachen Konzert eine Reise in die 70er Jahre und die folgenden Jahrzehnte, eine Art musikalisch begleitete Autobiografie.
Dabei erzählte Wader aber eben auch nicht nur von sich, sondern auch von seinen geschätzten Kollegen, von denen er sich für diesen Abend neben den Geschichten auch Lieder und Texte borgte. So sang er neben seinen eigenen, sehr bezeichnenden Liedern (u.a.“Schon morgen“, „Wieder eine Nacht“, „Die Mine“, „Es ist an der Zeit“.) zum Beispiel: „Was keiner wagt“ (Wecker), „Die Mädchen in der Schenke“ (Mey) und „Jeder Traum“ von Franz Josef Degenhardt, der am 13. November diesen Jahres kurz vor seinem 80. Geburtstag verstarb und offensichtlich zu einem der geschätztesten Kollegen Waders gehört, weshalb er ihm am gestrigen Abend dann auch ein weiteres Lied widmete („Alter Freund“).
Doch nicht nur auf seine deutschen Kollegen greift Hannes Wader zurück, sondern auch auf Texte aus Europa und Amerika. Er singt „Les feuilles mortes“ („Die welken Blätter“) von Jacques Prévert (bekannt geworden durch Yves Montand), „Last Thing On My Mind“ („Ich werd es überstehen“) von Tom Paxton, „Turn, Turn, Turn“ („Seit Ewigkeiten“) von den Byrds und weitere. Zu jedem schrieb Wader einen deutschen Text, ließ den Originaltext jedoch gelegentlich durchschimmern und – das war besonders schön – erzählte die jeweiligen Stationen eines jeden Liedes.
Wenn ein Liedermacher dem Choral „Oh Haupt voll Blut und Wunden“ einen neuen Text verleiht („Tagtraum“), klingt das trotz alledem recht düster. Hannes Waders Konzert klang insgesamt sehr nach Reflektion, Lebensherbst und unergriffenen Chancen. Vielleicht lag das tatsächlich an dem so kurz vorher verstorbenen Freund. Ich hoffe es. Denn, so viel Melancholie und Ernst kann für einen einzelnen Menschen auf Dauer nicht gut sein. Der Abend war auf jeden Fall berührend und nachdenklich und jeder der Zuhörer wird für sich eine kleine Weisheit mitgenommen haben. Aber es wäre schön zu wissen, wenn Hannes Wader doch tatsächlich irgendwann den Ort findet (vielleicht nicht in Griechenland), wo er am Ende gern bleiben würde.
Hannes Wader spielt und singt heute Abend noch in Bad Abbach (bei Regensburg) im Kursaal und dann im Frühling wieder ab dem 7. Februar an verschiedenen Orten, ganz nach dem Kredo „Heute hier, morgen dort.“ Ab dem 15. Dezember wird zudem in den deutschen Kinos der Dokumentarfilm „Wader Wecker Vater Land“ laufen, der beim Münchner Filmfest in Juni 2011 mit dem Publikumspreis ausgezeichnet wurde.
Paula Linke