Man müsste Pedro Almodovar eigentlich unter Artenschutz stellen, denn seine Rasse stirbt langsam aus, jedenfalls auf einem gewissen Niveau. Er ist einer der letzten große Regisseure, die klassische Melodramen inszenieren, wie sie seit den 50ern in stark abnehmendem Maße aus der Kultur verschwanden, bzw. in trivialere Formen wie Soaps und Telenovelas abwanderten. Zwar enthält ein Almodovar latent mehr Vergewaltigungen und Transvestitismus als ein Film von Douglas Sirk (aber nur ein ganz wenig), aber trotzdem bleiben wesentliche Merkmale erhalten, wie die extrem knalligen Kulissen und Kostüme, die völlig unrealistischen Zufälle und Story-Wendungen und natürlich die Fixierung auf starke Frauenrollen, die Fassbinder auch schon von Sirk übernahm.
Almodovar ist eigentlich eine ziemlich sichere Bank, weil seine Filme stets sehr ähnlich sind. Magst du einen, kannst du mit dem Rest nicht mehr viel falsch machen. Umso erstaunter war ich, als sein neuestes Werk DIE HAUT, IN DER ICH WOHNE als Science Fiction-Thriller angekündigt wurde. Sollte auch der Letzte seiner Art vom Zynismus unserer Zeit angesteckt worden sein und all seine Vorlieben für eine Neuerfindung über Bord werfen? Ganz so dramatisch ist es dann doch nicht.
Der weltweit renommierte Chirurg Robert Ledgard (Almodovars Ex-Muse ist zurück: Antonio Banderas) entwickelt eine künstliche Haut, die der menschlichen bei weitem überlegen ist. Während er gegenüber seinen skeptischen Kollegen beschwört, diese medizinische Neuerung nur an Mäusen ausprobiert zu haben, hält er in seiner Villa eine Frau (Elena Anaya) gefangen, an welcher er seine Entdeckungen ausprobiert. Sie ist völlig isoliert von der Außenwelt und wird ständig von Kameras überwacht, versucht sich ständig selbst zu töten, ohne Erfolg. Derweil scheint der Chirurg in besorgniserregender Weise besessen zu sein von der Schönheit, die er selbst erschaffen hat und frappierend seiner toten Frau ähnelt…
DIE HAUT, IN DER ICH WOHNE ist sicherlich Almodovars außergewöhnlichster Film. Das liegt nicht wirklich an den Thriller- und Sci-Fi-Elementen, sondern an der völligen Dominanz der Story. Daher fällt meine Inhaltsangabe wohl ein bisschen knapp aus, denn die Irrungen und Wirrungen und überraschenden Wendungen der Geschichte machen den hauptsächlichen Reiz dieses Films aus, was für Almodovar in gewisser Weise ziemliches Neuland ist. Eigentlich standen in seinen Werken stets die Figuren im Mittelpunkt, ihre Schwächen und Stärken, ihr desolates Innenleben. Die Geschichte war meist nur ein Vorwand, um diesem in bunten Farben Ausdruck zu verleihen. Besonders logisch oder kohärent waren diese Handlungen nie, eher extrem chaotisch und mit irren Zufällen gespickt, wie es im eben den amerikanischen Melodram der 1950er üblich war. In DIE HAUT, IN DER ICH WOHNE wird die Gefühlswelt der Protagonisten kaum gezeigt, alles wirkt seltsam kalt und steril. Man hätte sich einfach etwas mehr Melodram gewünscht, große Gefühle, die die durchaus mitnehmende Geschichte anbietet. Die Geschichte wartet sozusagen als kleine Entschädigung mit einem Mindfuck auf, der einem M. Night Shyamalan in seinen besseren Tagen alle Ehre machen gemacht hätte.
Die Szene, die den Zuschauer wohl am stärksten emotional involviert, ist die allerletzte. Fast wünscht man sich, die eigentliche Handlung würde erst jetzt einsetzen und einen noch zwei Stunden weiter tragen. Aber die Hoffnung auf DIE HAUT, IN DER ICH WOHNE TEIL 2 dürfte wohl äußerst gering sein.
Auch wenn sich diese Kritik beinahe wie ein Verriss liest: Almodovar macht keine schlechten Filme, nur manche sind weniger perfekt als die anderen. DIE HAUT, IN DER ICH WOHNE ist kein Meisterwerk, aber definitiv sehenswert und aufregend für alle, die mit den Sommerblockbustern des Jahres ihre Probleme haben.
DIE HAUT, IN DER ICH WOHNE läuft im Erlanger Manhattan (u.a. am Samstag, 12.11. um 22:30 Uhr) und die DVD erscheint wohl im Laufe des Jahres.
Michael Brinkmann