Bekenntnisse eines Hornzellen Junkies

Offiziell ist es eine Verhaltensstörung, die bei ca. 30% der Kinder und 10% der Erwachsenen auftritt, aber das ist ein sehr langweiliger Beginn. Ich mach es lieber so:
Superhelden existieren immer im Extrem: Sie haben Gegner, sie haben Feinde, sie haben Erzfeinde und sie haben ihre Fingernägel. Die Marotte wird als heroischer Akt inszeniert, oder sie ist eine Marionette des Unterbewusstseins, da ist nur eine dünne Linie zwischen Händen und Kiefer – und ein Drang zur Selbstzerstörung. Kuppen jucken, als verbrennen darin Hochspannungsmasten, ich bin auch süchtig, ich hab Onychophagie (Nägel kauen) und leider auch Perionychophagie (Übergriffe auf die Haut außenrum, andere Junkies wissen, was ich mein). Ich zupf sogar an der freien Hand, während ich das hier schreibe, weil da immer was absteht oder stört. Es braucht einem nicht peinlich sein.

Letztendlich hat man nichts davon, es ist wie mit dem Rauchen, nur dass es weniger stilvoll ist und die Lungen kriegen nichts mit. Unsere Finger sind Jenga Türme, seit der Geburt ist klar, dass sie immer wieder einstürzen werden, sie wachsen, bis wir mit Abrissbirnen kommen: Mit unseren Vorderzähnen und Nagelscheren (treue Begleiter, die keine Erklärung fordern). Wir beginnen sehr sorgfältig, Ruinen zu produzieren. Es ist ein destruktiver Drang, der eindrucksvoll Probleme kompensiert und den Abhängigen in eine Form des geistigen Leerlaufs stürzt. Es ist eine Übersprungshandlung, der nur materielle Schäden folgen und das, was eigentlich zerstört ist, wird übertönt. Diese Sucht ist eine sehr ausgefeilte Strategie der Bequemlichkeit, zumindest solange die Finger nicht bluten, aber wenn man wirklich drauf ist, vergeht kein Tag ohne Blut. Es würde sich fast lohnen, ein Tippspiel zu organisieren, bei dem Freunde ihre Wetten platzieren können, z.B.: Montag, linker Daumen, 7 zu 3, oder so ähnlich.
“Ich scheiß auf Daumenlutscher/ und kief’ an Griffeln wie Tauben an Taubenfutter/ als wärn’s aus Traubenzucker/ Ich bin ein Nägelbeißer/ leider…“ reimt Kamp in dem Song Daumenfutter, aber aufhören kann man auch nicht, man kann es mal probieren, das schon, aber ernsthafte Versuche muss man bleiben lassen, es gehört schließlich zum 1mal1 der Einsamkeit, man hängt einfach rum, dermaßen Herzrasen, man kann es nicht formulieren, aber irgendwas passt nicht und dann bricht man die metaphysischen Überlegungen auf die Fingernägel runter und arbeitet an seinem persönlichen Style mit mehr Leichtigkeit als Ballett-Tänzerinnen, man reist ein bisschen Haut weg, sehr professionell natürlich und kurz hat man den Kick, den man braucht. Wir hängen rum wie Bugs Bunny, klug und kauend, und weil Elmar Fudd chancenlos ist, müssen wir uns selbst verletzen, Onychophagie ist eine Sucht und gleichzeitig ein Pflaster, eine Ablenkung und ein Zeitvertreib, nur wenn man die Fetzen nicht wegkriegt, bekommt man noch mehr Stress – man verliert die Geduld, die Hunde haben, wenn sie einen Knochen kriegen. Man kann auch nicht ertragen, wenn andere kiefen, weil die unbewusste Fixe so zur bewussten Neurose wird. Bleiben wir einfach cool, verstecken wir nicht unsere Hände, halten wir immer Taschentücher bereit, um das Blut aufzusaugen, lassen wir die Ruinen heilen und zerstören sie von vorne. Und wenn uns mal jemand blöd kommt, gibt es nur eine logische Antwort: Is’ was Doc?

Joshua Groß

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