– „my people it’s time to rise“ (Blu)
Ich sitze hier einsam an einem Hafen, der Himmel ist ein Stück entfernt. Mich können nur Möwen sehen. Ihre Flügel spielen Schattentheater auf meinem Trommelfell. Der Soundtrack heißt below the heavens. Die Platte ist von Blu & Exile und wurde 2007 veröffentlicht.
Ihr steht 2011 am Strand und die Musikpresse versucht euch zu manipulieren. Es ist einigermaßen schwer nachvollziehbar, was da über Hip-Hop berichtet wird. Casper rettet anscheinend die Welt und Tyler the Creator macht Sachen, die noch niemand gemacht hat. Journalisten, die so was schreiben, müssen selbst gerettet werden, wie Guido Westerwelle. Ich mein, ein selbstsüchtiger Kerl soll ein Land repräsentieren und Musikredakteure können nicht zuhören, es ist ziemlich absurd, so gesehen, aber es funktioniert leider.
Die Wahrheit ist, dass es Hip-Hop-Alben gibt, die jenseits dieses Genres zwischen Roman und Musik bestehen. Diese Platten beschreiben einen Bewusstseinszustand, sie erzählen die Geschichte eines Menschen, nicht einer Figur. Ihr Anspruch ist nicht, Revolution zu sein, obwohl sie das manchmal sind, es sind hauptsächlich moderne Klassiker, die sich nur erschließen, wenn man zuhört. Below the heavens ist so ein Klassiker.
Blu, geboren 1984, ist wie wir, er ist ein Superheld, manchmal pleite, aber auch die selbsternannte Mischung aus Al Green und 2Pac. Er ist der Soul Provider. Below the heavens handelt vom Leben in Los Angeles, vom Tanzen im Regen, von Mädchen und Lässigkeit, die in der maximalen Spannung kristallisiert. Es ist ein autobiografisches Album, das für Vertraute und Gleichgesinnte gemacht ist, es entstand unter den Wolken und im Untergrund: Blu macht die Musik, die er eben machen will. Entspannt und anspruchsvoll, the pain comes and it goes, es ist reflexive Selbstdefinition und die Hoffnung, die unsichere Gegenwart überwinden zu können, um über den Wolken zu schweben, obwohl er gleichzeitig weiß, dass die Freiheit dort nicht grenzenlos ist. Wir haben keine Schlager. Wer zuhört, lernt langsam einen Menschen kennen, der kämpft und seinen getriebenen state of mind auf die Beats von Exile packt. Die Instrumentals sind purer Soul und die Harmonie, die Blu in seinen Texten sucht, sie sind die perfekte Ergänzung und Bühne für Monologe über die Selbstzweifel unserer Generation.
Es ist aufrichtige Kunst, die notwendig ist und nicht gemacht wird, um ein großes Publikum zu erreichen. Aber sie sollten ein großes Publikum erreichen, genau deshalb. Und below the heveans ist eigentlich ein typisches Hip-Hop-Album, aber es ist nicht eindimensional, wie 99% der Sachen, die rauskommen. Es ist Hip-Hop, der sich selbst hinterfragt und die seltene Verbindung von inhaltlicher Tiefe und lyrischer Fähigkeit. Es ist Poesie und Musik.
“Leben ist Schmerz“ sagte Buddha, aber es ist auch die wunderbare Reise, die vielleicht im Himmel endet. Ein Himmel, der kein religiöses Konstrukt ist, sondern eine Metapher für die Einheit und Balance, nach der wir uns sehnen.
Ja, ich sitze qualmend am Meer und meine Rauchringe sind Lassos, die Sterne fangen wollen. Die Sätze kommen zu euch, wir sind alle blue collar worker (jeder auf seine Weise), wir brauchen keinen Außenminister und der Rest war Schweigen, zumindest bis zum nächsten Mal und auch nur so leise, wie Wellen eben Schweigen können.
Joshua Groß