V. Mittagessen mit Verspätung

Wir müssen zahm sein und kratzen dürfen wir nicht, denn seine Hände braucht er für seine Arbeit. Wir sind seine Privatsphäre und seine kleinen Helfer hier und da. Horch, Sara! Ruft da nicht jemand die Treppe herauf: „Es gibt Fressen“? Hurtig sind wir hinuntergaloppiert! Beim Essen konnten wir ihm allerdings nicht helfen. Vor dem Tischgebet schaute der Sekretär (mit Küchenschürze) auf seine Uhr, Ratzinger sagte: „Es hilft nichts, sonst wird es ja kalt.“ Sehenswert war, wie der Ratzinger mit 1 ½ Händen bei erhöhter Unfallgefahr – „Passen Sie auf Ihren Verband auf. Die Sauce!“

Spaghetti isst… wir haben währenddessen am Katzentisch so getan, als hätten wir’s nicht bemerkt und uns an der Bolognesesauce schadlos gehalten. Niemals scheint der Mensch liebenswürdiger als in seiner Unbeholfenheit. Das habt ihr mit uns Katzen gemeinsam. „So trocken rutscht das einfach nicht runter.“, murmelte er unwillig. Da klingelte es an der Haustür. Mit den Worten „Das ist die Post!“ warfen sie beide die Servietten hin, sprangen auf und eilten hinaus. Ich bin natürlich hinterher getappt. Der Postbote staunte erst, wer vor ihm stand, war sprachlos, bekreuzigte sich und überreichte ein gelbes Paket der Deutschen Post. Der Sekretär unterschrieb das übliche Formular und las den Absender vor, Ratzinger fragte den Postboten auf Italienisch: „Und sonst haben Sie nichts dabei? Ein Paket aus Bamberg?“ Der Postbote schüttelte den Kopf, bekreuzigte sich erneut und ging von dannen. Sie brachten das Paket zum Küchentisch. „Machen Sie nur auf, es ist ja noch nicht ganz zu spät.“ Der Sekretär tat wie ihm geheißen und brachte zwei bauchige Flaschen Wein und eine Karte zum Vorschein. „Verehrter Weinliebhaber. Herzlichen Glückwunsch zu Ihrer vorzüglichen Auswahl. Wohl bekomm’s. Ihr Franken-Wein-Gut.“ Zuerst fragte der Sekretär irritiert, ob die Anrede nicht etwas respektlos wäre, der Ratzinger meinte, die behandeln alle Leute gleich, das muss kein Nachteil sein. Dann las der Sekretär die Etiketten vor, dabei wurde es mir etwas mulmig. „Sommeracher Katzenkopf, Müller-Thurgau, Zweitausendundvier“ – „Wie bestellt, Müller-Thurgau. Das ist der Wein der einfachen Leute. Den machen Sie gleich auf. Beenden wir damit unser Mittagsmahl.“ Dann streichelte er mir den Kopf, weil ich auf den Stuhl gesprungen war, „keine Sorge, da ist nichts von einer Katze drin, der Weinberg sieht nur so aus.“ Die bisher noch leer und trocken herumstehenden Gläser erfüllten ihre Bestimmung. Der Ratzinger improvisierte einen Trinkspruch: „Einfache Leute, solche gibt es in Franken, erdig und kernig wie dieser Wein –aber gewürfelt sind sie.“ Auf den verständnislosen Blick sagte er: „Der echte Franke ist ein gewürfelter, haben sie das nicht gewusst?“ Kopfschütteln. „Naja, sie haben Ecken und Kanten“, dann spreizte er Daumen und Zeigefinger der unversehrten Hand und bewegte sie wie ein Pendel hin und her, wie wenn er sich an diesen Handgriff eben erinnerte, sagte er bedächtig: „manchmal polar- polar- polarisieren sie gern… aber ist das nicht das Salz in der Suppe? Was wäre die Kirche ohne Salz?“ Dann hob er feierlich das Glas, und sprach: „Trinken wir auf das einfache Volk, und auf die wackeren Anwälte des Volk Gottes.“ Auf einen weiteren fragenden Blick ergänzte er, „weil einige davon aus Franken kommen, und nicht die geringsten.“ Dann ließ sein Glas an das andere klimpern und sagte nur noch „Den anderen heben wir auf für heute Abend.“ Die letzten Runden der Spaghetti beendete er mit deutlich mehr Schwung. „Aber wenn weiter nichts gekommen ist“, sagte er am abgegessenen Tisch zum Sekretär, „dann müssen Sie in der Metzgerei ein paar Steaks mehr nehmen. Und was geben wir den Katzen?“ Auf dem Weg vom Esszimmer in die Küche streichelte er Sara das Köpfchen und versicherte uns „Ihr sollt ja auch was vom Grill bekommen!“ Was das sein wird, wussten wir beide nicht, aber seinem Urlaub haben wir unser ganzes Glück zu verdanken. Er kann zwei Katzen beschäftigen, das könnt ihr mir glauben! Von wegen herumliegen und gähnen, das geht wenn dann nur in der Mittagszeit. Den Sekretär hat er nach dem Abwasch zur Metzgerei im Dorf geschickt. „Gehen Sie nur, gehen Sie, wir halten hier Siesta.“ Drei Tage Urlaub sind drei Tage rauschende Blätter, da kommt eine Mittagspause schon recht. Sonst sitzen wir bei ihm auf dem Schreibtisch und blättern die Bücher um, setzen Lesezeichen, halten Ordnung. Wenn er von einer von uns genug hat, kommt die andere dran. Wer glaubt denn, dass der Heilige Vater an einem Bildschirm arbeitet? Recherchieren mit Suchmaschinen? Damit holt man keine Katze hinter dem Ofen hervor. Mit Trefferanzeigen? Wer das glaubt, versteht nichts von der Arbeit eines Papstes. Wurde sein Vorgänger der eilige Vater genannt, weil er rastlos unterwegs war, ist der Ratzinger der Papst mit der eiligen Schrift. Wir sind die Großmeister im beschaulichen Lesen, im Umblättern, wir sind kreativ, damit er schreiben kann, aber erst seitdem wir aus dem Keller des Vatikan befreit sind.

 

Thomas Werner

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