Im zweiten Examen wird die Tauglichkeit für die päpstliche Arbeit geprüft. Es ist einfach. Du wirst auf einen Tisch gesetzt, vor dir liegt ein Buch. Die Aufgabe besteht darin, das Buch aufzuschlagen, vollständig durchzublättern – deshalb heißt er Samtpfotentest – und wieder zu schließen. Selbstverständlich darf kein Eselsohr hinterlassen werden. Danach kommt ein zweites und drittes Buch. Wegen der Chancengleichheit, und die muss weltweit gewährleistet sein, ist das erste Buch ein aktueller Bestseller, ein Roman oder Sachbuch, üblicherweise 90g-Papier, gebunden mit Schutzumschlag. Beherrschung von Kapitelanfang, Seitenzahlen, fertig.
Das zweite, daran scheitern schon viele Menschen, ist ein so genanntes Paperback: das örtliche Telefonbuch. Ob Köln, Sydney, Jerusalem oder Bozen, egal. Durchblättern, sieben Stichproben zum Alphabet, fertig. Das Telefonbuch ist nur die Vorbereitung auf die eigentliche Qualifikation. Das dritte Buch ist eine druckfrische Bibel, Landessprache je nach Aufenthaltsort, feinstes Bibeldruckpapier, beispielsweise die französische Bible de Jerusalem, 26 g/qm. Weiterhin kein Eselsohr, zuverlässige Beherrschung des Inhalts selbstverständlich ohne Zuhilfenahme von Seitenzahlen und die sichere Verwendung von Lesezeichen. Auf Zuruf finde sieben Verse aus dem Alten, sieben Verse aus dem Neuen Testament und du hast schon fast gewonnen.
Bei der dritten Prüfung seid ihr immer zu zweit. Ihr sitzt auf dem Fußboden (wegen größtmöglicher Bewegungsfreiheit) und ihr bekommt gleichzeitig zwei Zeitungen vorgelegt. Die eine ist die offizielle Vatikan-Zeitung Osservatore Romano, die andere ist eine profane Zeitung, in der Regel die örtliche Lokalzeitung oder gegebenenfalls die sogenannte Weltpresse, die dem Papst, wo er auch hinkommt, zuverlässig nachgeflogen kommt bzw. ihn verfolgt. Deutschsprachige Zeitungen gefallen ihm besonders gut, denn die haben die größte Spannweite, von bilderreich und bunt und billig bis halbseiden, schwarz-weiß und teuer. Also, so geht die Presseschau:
Der Osservatore Romano ist tabu. Wer den anfasst, scheidet aus. Der Ratzinger und sein Sekretär würden ihn zwar nicht lesen, schon gar nicht im Urlaub, aber er ist Dekorationsmaterial für etwaige Gäste, schön aufbewahrt in chronologischer Ordnung. Nicht anfassen! Egal wie die andere Zeitung heißt – je weniger am Ende von ihr übrig bleibt, umso mehr Chancen habt ihr. Ebenso wie mit den Büchern habt ihr die Aufgabe, die Zeitung durchzublättern, diesmal Seite für Seite, wie es euch Spaß macht, bis die ganze Zeitung gegebenenfalls in einem Gemetzel endet. Sie schauen euch dabei zu, der Heilige Vater und sein Sekretär, denn für jede Zeitung, die wir Katzen lesen, haben die beiden die Arbeit schon gespart. Wenn die tägliche Presse dann recht in Stücke gehauen wird, was haben die für eine Gaudi! Und wenn der Ratzinger sagt, das geht ja ratz-fatz, ist er zufrieden und ihr habt gewonnen und dürft euch mit Fug und Recht Ratzingerkatzen nennen und es auf Lebenszeit bleiben. Was hat er schon für Geschenke geliefert bekommen aus seiner Heimat: dreißig Jahre lang so gut wie nichts und auf seine Briefe kaum eine befriedigende Antwort und dann auf einmal Christbäume, Bier und Wein und Bücher, meistens mit Erinnerungsfoto von der Übergabe. Bei den Lebensmitteln ist es die Menge, unter den Zeitungen sind es die Ausnahmen, die ihm Freude machen. Wir zwei, Sara und ich bekommen heute etwas vom Grill. In Windeseile haben wir alle Zeitungen zerlegt, deren Mitarbeiter den Ratzinger am Zaun aufgehalten haben, wegen nichts und wieder nichts. Erstens mussten wir solange auf unser Fressen warten. Und dann muss der Grill ja mit irgendetwas angezündet werden. Papier braucht der Haushalt Ratzinger immer wieder. Und Katzen.
Thomas Werner