III. Das Ratzinger-Verfahren: Der Geschicklichkeitstest

„Was soll’s, wir sind im Paulusjahr. Der hat sich auch nicht drum gekümmert, ob er eine gute Presse hat.“ Sprach’s und ließ die Zeitungen liegen und ging ins Haus. „Wie gut, dass wir die Katzen haben.“ Dann hat er uns gestreichelt, aber hungrig wie wir waren, haben wir uns nicht wirklich über die Zutraulichkeit gefreut. „Tobias, Sara, was meint ihr? Heute Abend grillen wir! Und ihr Katzen sollt auch was davon haben!“

Er hat wohl gehört, dass uns schon der Magen knurrte, Sara hätte ihm fast in den Finger gebissen. An der Haustür seufzte der Ratzinger nochmals und fragte den Sekretär: „Gänswein, was sagen Sie zu den Schafen da droben, die einen sind fast schon über dem Berg und die anderen trauen sich nicht ins Weite.“ Und auf unseren hungrigen Blick erklärte er: „Da geht man den verlorenen Schafen nach und die braven, selbständigen, um die man sich keine Sorgen machen sollte, halten einen, wenn man zurück kommt, für den Wolf.“ Sara sagte Miauu, ich meinte Miaoou, vielleicht gibt es ja Lammfleisch heute Abend, und er ließ mich auf seinen Arm springen. Die Urlaubsüberraschungen haben auch ihre schönen Seiten – zumindest für uns. Schreiben dürfen jetzt der Sekretär und wir für ihn – sobald er sein Diktiergerät im Griff hat. Im Urlaub darf auch der Papst mal nicht alles selber machen müssen. Schließlich ist er auch nur ein Mensch. Sein Sekretär ist übrigens ein fescher junger Mann und macht eine gute Figur in Hochglanzmagazinen. Zu uns Katzen ist er vor allem eines: diskret. „Passen Sie auf, wenn die Post kommt!“, beauftragte ihn der Ratzinger, als er den Schlüssel ans Brett gehängt hat. „Erst dann ist der Abend gerettet.“ Grrrr… ist so ein Gipsverband schön rau um sich das Fell daran zu reiben… Könnt ihr euch einen Papst mit Hund vorstellen? Ein Hund? Der ist stolz darauf, wenn er seinem Herrn die Zeitung bringen kann, ohne viel zu sabbern. Für so niedere Dienste wie Apportieren waren wir uns schon immer zu schade. Wer in den Haushalt des Papstes einziehen will, muss erst das Aufnahme- oder Ratzingerverfahren bestehen. Allein dafür würde sich das Leben lohnen.

Für das Ratzingerverfahren solltet ihr dem Kratzbaum schon entwöhnt sein. Denn ganz egal, wo ihr geboren und aufgewachsen seid, von den Tapeten, den Wänden und den Möbeln gilt: Rühr’ sie nicht an! Um unsere Krallen zu schärfen, gibt es erlesenes Papier, täglich frisch bedruckt. draußen neben dem Holz liegt es. Dass wir sorgfältig damit umgehen, darauf wird schon bei unserer Erziehung geachtet. Und die hatte er lange Zeit selbst in der Hand. Der Ratzinger war, bevor er Papst wurde, im Vatikan der Hüter des Glaubens und darum auch, das wissen die wenigsten, der Hüter der Katzen. Tief im Keller des Vatikan hat er in grauer Vorzeit eine einfache Abmachung mit uns getroffen: Wenn er dort wieder rauskommt, aus seinem vorherigen Arbeitsplatz, nimmt er uns mit. Das ist der Ratzinger-Katzen-Pakt. Weil er jetzt der Chef im Haus ist, hat er uns aus der dauernden Unsicherheit des halb legalen, halb domestizierten Katzendaseins. Das Ratzinger-Verfahren kann ich vor dem Mittagessen noch beschreiben. Solange die beiden geistlichen Herren im Wohnzimmer das Mittagsgebet, die Sext lesen, ist der Schreibtisch im oberen Stockwerk verwaist. Das Ratzinger-Verfahren ist ein Examen mit drei praktischen Prüfungen an jedem neuen Aufenthaltsort des Papstes. Wer sie besteht, ist fortan eine Ratzingerkatze auf Lebenszeit (alle Katzenleben zusammen gerechnet). Allerdings ist das Verfahren, sobald zwei Katzen die Prüfung bestanden haben, beendet. Die erste Prüfung ist die Geschicklichkeitstest, das zweite der Samtpfotentest, das dritte ist die Presseschau.

Erstens. Die Geschicklichkeit besteht darin, einen Rosenkranz, ganz gleich wo ihr ihn findet, in derselben Lage und Stellung zurückzulassen wie er war. Spielen dürft ihr damit, aber ja nicht durcheinander bringen! Das ist die einfachste Übung. Wer dafür antritt, sollte sich schon selbständig aus einem Wollknäuel befreien können. Der Rosenkranz ist ja ein beschauliches Gebet und kein Wettkampf. Johannes XXIII hat an jedem Tag alle drei damals bekannten Rosenkränze gebetet, den freudenreichen, den schmerzhaften und den glorreichen. Johannes Paul II hat auf die alte Perlenschnur noch eine neue Serie von Geheimnissen, die lichtreichen aufgelegt. Von ihm selbst auf CD gesprochen wurde der Rosenkranz sogar ein Hit.

Für uns Katzen wurde der Rosenkranz erst interessant, als der Ratzinger nach Rom kam. Er traf unsere Vorfahren dort an, wo sie lebten oder vegetierten, heimlich tief im Keller, ganz unten. Konnte auch Johannes Paul II mit Musikern im Scheinwerferlicht Sonnenbrillen tauschen, für uns im Schatten hat der Ratzinger eine tröstende Übung und eine rechte Katzenmusik mitgebracht, den Rosenkranz und seinen geliebten Mozart. Beide wurde uns nie langweilig. Mit unseren Pfoten durften wir Perle für Perle mit ihm mitzählen, uns in Geduld zu üben, bis wir aus dem Keller herauskommen, das war schön.

„Die Heilsgeheimnisse werden durch die Wiederholung nie langweilig. Nur das Belanglose braucht die Abwechslung“, sagte der Ratzinger immer. Und auch das: „Leiden ist das Prinzip der Veränderung.“ Wer lange auf etwas warten muss, kann es eines Tages mit aller Macht genießen. Darum darf als Gedulds- und Geschicklichkeitsübung der Rosenkranz nicht durcheinandergebracht werden. Ordnung muss sein.

 

Thomas Werner

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