Gestern fand auf der Clubbühne des E-Werks der Februar-Slam statt. Ein großartiger Abend! Kurzweilig, abwechslungsreich, die Balance zwischen ernst und humorvoll haltend und kein Poet, den man mit einem Achselzucken hätte abtun können. Da hatte jeder etwas Cooles.
Das begann schon mit dem Text des Money Boy-Songs „Dreh den Swag auf“, interpretiert (extra für die Germanisten) von Marvin Suckut. Sein Fazit: Dass es im Grunde darum geht, sich verdammt nochmal gründlich die Zähne zu putzen, sich zu waschen und aus der drecktriefenden Gesellschaft auszusteigen. „An euch: Bleibt clean!“
Auffällig war, dass es sich den Abend über um drei Themenkomplexe drehte, die sich auf eine faszinierende Weise spontan aufeinander abstimmten. Eine Choreografie aus Themen. Liebe! Lebe! Steig aus! Trau dich! Hab die Eier und sprich sie an! Nutze unsere Sprache richtig anstatt sie zu verarschen!… Da gab es viele vernünftige Ratschläge.
Besonders angesprochen fühlen mussten sich die Lyriker, die Germanisten, die männlichen Romantiker und die wetterabhängigen „Alles-ist-schlecht-“Heulsusen. „Werdet eurer positiven Einstellung mächtig!“ Osama lieferte hierzu einen schwungvollen Lösungsvorschlag, nämlich den, heulende Freunde mal wirklich von ihren Qualen (Freundin, scheiße schmeckende Flakes, Job, nervende Nachbarn) zu befreien und wenn es mit einer Halbautomatik sein muss. Heult nicht rum! Werdet tätig!
Steigt aus! Werdet Punk! Lucas Fassnacht rockte: „Das System ist kaputt!“, schimpfte auf Bank, Kommerz, Politik und Medien und suchte nach einem Weg, nicht als Teil des Ganzen in Dinge involviert zu werden, mit denen man gar nichts zu tun haben möchte. Allein, Punk sein impliziert Bier, Bier impliziert Konsum und so bleibt selbst ein Punk im System gefangen.
Christian Grohganz machte ein Geständnis: Er habe Angst. Er sei überängstlich, seit seiner Kindheit schon und das mit Grund. In einer Gesellschaft, in der sich der Onkel im Museum of Modern Arts erhängen und drei Wochen lang als Ausstellungsstück missverstanden werden kann, ist etwas nicht mehr ganz richtig. Oder in einer, in der sich die deutsche Sprache, die Sprache etlicher grandioser Dichter, Lyriker, Autoren von Arnim bis Zweig auf einen „Kommunikationsendzeit-Movie“ zubewegen kann und im „McDoof-“-Bestellungen wie „Ne SchniPoPi und für meine Lutsche ne FriCo“ aufgegeben werden dürfen (Florian Cieslik). In der Neuntklässler ernsthaft fragen können: „Hey Jan, als Hitler und das mit den Juden war, das ist schon 200 Jahre her, oder?“ (Jan Siegerts, Moderator)
In dem Fall ist Fassnachts Ausbruch: „Das System ist kaputt!“ vollkommen berechtigt. Und da passte auch der Text Carina Birzers über einen Schulausflug der 10. Klasse ins Konzentrationslager Dachau, „für all die Menschen, die am Samstag in Dresden geblockt haben.“ Während dieses Textes war es im Raum ganz still, kein Mucks war zu hören und das war toll! Das Erlanger Publikum hat es drauf, seinen Gästen zu zeigen, dass es voll und ganz bei ihnen ist. So konnte auch Sage Dragon darauf zählen, dass der Zettel, den er in die Menge warf, geöffnet und verlesen werden würde. Und Tobias Föhrenbach von „Lautstufe Zwei“ konnte davon ausgehen, dass das Publikum den Refrain von „Maracuja“ mitsingen würde.
Tobias Föhrenbach ist übrigens schon einmal dagewesen, als Poet. Die, die damals anwesend waren, werden sich mit Vergnügen an seine „Wurstschlacht“ um Liona und die „Weinverkostung“ erinnern. Jetzt erschien er zusammen mit der Pianistin Irina Harsch, als „Lautstufe Zwei“, die ab dem 4. März im Tassilo-Theater in Nürnberg ihr Musik-und Sprechkunst-Programm „Mit Zuckerbrot und Peitsche“ starten werden und beim Erlanger Poetry-Slam einen wundervollen Vorgeschmack als Rahmenprogramm gaben. Unter anderem verwandelte sich Herr Föhrenbach kurzerhand in einen „Hedge Fond Manager“ und lieferte ein lebhaftes Beispiel dafür, wie man sich bei Frauen unter gar keinen Umständen vorstellen sollte. (Wahrhaftigkeit ist gut, aber ab und zu tut man besser daran, auf Details zu verzichten.) Sage Dragon machte da einen weiteren Vorschlag, nämlich den: „Hi, ich find dich süß, ist das neben dir dein Freund?“ Einfach mal fallen lassen, losgehen, ansprechen! „Gefühle kann man nicht abschalten.“
Max Kennel setzte da noch einen oben drauf mit: „Eier, Jungs, wir brauchen Eier!“ Der Gewinner des gestrigen Abends kam mit viel Selbsbewusstsein rüber, vollkommen in Einklang mit sich selbst und seinem Körper („Frauen stehen auf Selbstvertrauen.“) und einer Anklage an alle Dichter, die Schuld daran haben, dass unsere Gesellschaft verdummt. Denn: „Weil ihr keine Eier habt“, euch hinter euren Schreibtischen und Lyrikheften versteckt, statt euch fortzupflanzen, bleiben für die Frauen ja nur noch die Blöden. Kein Wunder also, dass das System hinkt.
Und kein Wunder, dass die beliebte Frage auf Familiengeburtstagen „Und, wie steht es mit der Liebe?“ so oft unbeantwortet bleiben muss. Liebe, Lust, Alltag und Abschied müssen sich gar nicht ausschließen! Das machte Katharina Spengler dem Publikum endlich mal klar. Und wenn du die Chance bekommst, noch einmal zu leben, dann ist laut Armin Neitzel doch gerade eine liebende Umarmung das, was dich dich für das Leben entscheiden lässt, auch mit dem Wissen um die ganzen Probleme und Ängste, die die Liebe mit sich bringt.
Für alle, die gestern im E-Werk waren statt „Tatort“ zu gucken: Ihr könnt noch ein wenig auf den Frühling warten. Ihr könnt aber auch den schwungvollen Abend von gestern als Anstoß nutzen und sofort starten: Lebt! Liebt! Und habt verdammt nochmal Eier in der Hose! MARACUJA!!!
Und dann kommt zum nächsten Poetry Slam am 20. März wieder!
Paula Linke
Das ist ja mal eine schwungvolle Zusammenfassung, die realistisch zugleich den ganzen Abend widerspiegelt.
Da kann ich wieder nur wissend nicken und sagen: „Ja, so schön war’s“
Herzliche Grüße und ein dickes Dankeschön
Ela
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