Zwei Männer und zwei Frauen warten. Worauf? Schließlich hängen sie ihre nassen Jacken über eine Stuhllehne, anscheinend haben sie etwas vor. So richtig kommen sie aber erst nicht in Fahrt, ständig müssen sie Stühle um sich herumstellen. Sie wirken raffgierig, egoistisch. Das kommt der Geschichte schon sehr nahe, die sie erzählen wollen. „Fundament“ von Jan Neumann.
Anfangs geht es um die „Gewöhnliche Straßentaube“, die nach Futter sucht, und so ihre Runden dreht. Die Schauspieler sind alle grau angezogen, und wenn sie abwechselnd die Taube nachahmen oder aus einer auktorialen Sicht dessen Situation beschreiben, sieht man zwischen dem Stühlechaos die Szene vor sich. Wie in Hitchcocks „Die Vögel“ flattert sie um den Kirchturm und auf Menschen zu. Diese Menschen, die die Taube umfliegt, haben alle etwas gemeinsam: Sie kommen aus einem reichen Land, sind finanziell gesichert, haben wenig am Hut mit den Katastrophen in der Welt, und fallen trotzdem einer zum Opfer.
Da ist der einsame Rentner (Thomas Witte), der im Zug den Fahrgästen unaufhörlich aus seinem Leben erzählt. Die Fahrgäste sind peinlich berührt bis massiv gestört, und die deutsche Bahn bittet für den Ausfall der Klimaanlage um Verständnis.
Die nächste Szene spielt in einer WG mit einer Germanistin, dessen Freund, einer Marihuana-Freundin und einem Soziologiestudenten. Aufgerüttelt von einem Fernsehbild eines hungernden Kindes in Afrika, wälzt die Germanistik-Studentin (Nora Weil) Woche um Woche ein Buch nach dem anderen, um die Ungerechtigkeit in der Welt zu verstehen und zu ändern. Dabei geht das Leben um sie herum an ihr vorbei, ihr Freund schläft mittlerweile mit der Kifferin, die Transparente bleiben leer, der Protest unausgesprochen.
Das nächste Bild ist der Workshop „Blockaden lösen durch kreatives Malen auf Stoff“. Die Ehefrau und Mutter zweier Kinder (Christine Mertens) ist ja eigentlich ganz zufrieden mit ihrem Leben. Auf penetrantes Nachbohren des Gurus „Und jetzt massieren wir alle mal unseren Damm, nur keine Scham in der Scham, hahaha!“ öffnet sie sich der Gruppe. Sie fühlt sich von ihrem Mann nicht geliebt, ihre Töchter sind gerade in einer schwierigen Phase, aber… da muss sie schon wieder weinen. Den Workshop kann sie nicht zu Ende machen, ihre Familie kommt ohne sie einfach nicht zurecht.
Ganz im Gegensatz zu der perfekten Familie Kremm. Sie haben zwei Töchter, führen eine perfekte Ehe, organisieren Wohltätigkeitsveranstaltungen und helfen der Bahnhofsmission. Herrn Kremm (Thomas Georgiadis) wird eben das zum Verhängnis. Es knallt, als sich der Selbstmordattentäter am Bahnhof in die Luft sprengt. Es fliegen Leichenteile herum, der Rentner verfolgt bis morgens die Katastrophe im Fernsehen.
Nacheinander werden neue Räume entworfen, neue Personen vorgestellt und von außen kommentiert. Was klingt wie zusammenhangslose Szenen, wird mühelos verbunden zu einer aktuellen Geschichte unserer Gesellschaft. Seit den Anschlägen in Madrid und London, und Androhungen von Attentaten an Massenveranstaltungen, könnte es jeden Tag jeden treffen, vom Studenten über den Familienvater, den Rentner. Doch das Stück will keine Angst schüren, sondern liefert eine Geschichte zum Nachdenken. Mit Witz und Ironie wird der Zuschauer unterhalten. Doch die leichte Stimmung wird unterbrochen durch Krach, Stühleumkippen und Rotlicht. Ein flaues Gefühl macht sich in der Magengegend breit. Ein starkes Stück, bei dem man zum Grübeln kommt.
Weitere Aufführungen finden statt: am 19. 2. und 20.2. im Gostner Hoftheater ab 20 Uhr.