12 Saiten für ein Halleluja

Dass die 12-saitige Gitarre bekanntlich das schönste Instrument der Welt ist, wussten schon die Byrds – schließlich genügen bereits einzeln angeschlagene Saiten, um einen warmen und ziemlich unverwechselbaren Klang zu erzeugen, der sich in Wellen flächenhaft ausbreitet. Wenn nun also ein Künstler wie der Londoner James Blackshaw, dessen technische Virtuosität schon mal  mit der  der britischen Folklegende Bert Jansch verglichen wird, besagtes Instrument als sein primäres Arbeitsgerät benutzt, sollte man das als Freund des gepflegten Wohlklangs einmal anhören.

Blackshaw tritt an diesem Abend im Rahmen der „across“-Konzertreihe im Neuen Museum auf, deren Ziel es ist, Künstler zu präsentieren, die sich abseits gewöhnlicher Genrekonventionen bewegen, Grenzen überschreiten, Gegensätze verbinden und Neues mit Altem versöhnen. James Blackshaw braucht nicht viel, um dieser Vorgabe Folge leisten zu können: Keine Elektronik, kein Schlagzeug, keine weiteren Instrumente, ja nicht einmal eine Stimme. Nur seine 12-String-Akustikgitarre. Und die fast sakral anmutende Atmosphäre im Neuen Museum.

Die anmutige Stille gleicht der vor dem Beginn eines Gottesdienstes, als Blackshaw die Bühne betritt und langsam, verschleppt, einige durchgezogene Akkorde in den weiten Raum des Neuen Museums gleiten lässt, in diese Betonkathedrale, die abgedunkelt, während lediglich drei rote Strahler die Wand hinter dem Künstler erleuchten, umso würdevoller wirkt. Die bestuhlten Reihen sind voll besetzt, die Rotweingläser gefüllt, weiter hinten werden ausfaltbare Hocker verteilt, um den zahlreichen Nachzüglern noch einen Sitzplatz anzubieten – hier sitzt man und steht nicht, scheint  unausgesprochener Konsens zu sein.

Blackshaw lässt indes die Akkorde sanft ausklingen – die Ruhe ist fast mit Händen zu greifen – und beginnt dann langsam mit seinem Fingerpicking. Erst leise, dann etwas lauter, etwas sehr viel lauter, dann wieder leiser – kunstvoll arrangiert er seine sinfonischen Elegien, die bisweilen eine epische Länge einnehmen, greift Motive und Melodien auf, lässt sie wieder fallen, nur um sie dann irgendwann wieder zurückkehren und umso prächtiger erscheinen zu lassen. Die Fülle des Klangs ist erstaunlich, seltsam verschleiert meint man das Echo anderer Instrumente zu vernehmen, Streicher, eine Pauke, ein Klavier, ein Akkordeon – aber die sind gar nicht da. Sie sind lediglich eine Täuschung, bewirkt durch das bisweilen atemberaubend schnelle, mehrstimmige Picking Blackshaws, Geister, die sich in der Weite des Neuen Museums verflüchtigen.

Das Publikum scheint in kontemplativer Stille versunken, kein Laut ist neben den Tönen der Gitarre zu vernehmen und wenn einer der Songs nach mitunter zehn Minuten langsam ausklingt setzt der Applaus stets erst dann ein, wenn das Echo des letzten Akkords verstummt ist. Als jemand versehentlich ein Weinglas fallen lässt, kommt dessen lautstarkes Zersplittern fast einem Sakrileg gleich. Einzig James Blackshaw selbst, obgleich außer kurzen Worten der Begrüßung stumm, verzieht den Mund daraufhin zu einem kurzen Lächeln, als sei ihm dieser ganze heilige Ernst selbst etwas peinlich.

Nach relativ kurzer Zeit, es mag eine gute Dreiviertelstunde vergangen sein (welche aufgrund angestrengten Zuhörens allerdings deutlich länger wirkte) kündigt Blackshaw schließlich seinen letzten Song an und kehrt nach dessen Ende auch nicht mehr auf die Bühne zurück. Das Publikum klatscht angestrengt, klatscht weiter, hört auf zu klatschen, startet einen neuen Versuch, klatscht hartnäckiger, aber vergebens. Irritation macht sich breit, als hätte der Pfarrer vergessen, „Gehet hin in Frieden“ zu sagen – das abrupte Ende eines mitunter überaus beeindruckenden Konzerts. Man weiß nicht, was James Blackshaw dazu bewogen hat, seinem ihm wohlgesonnenen Publikum die Zugabe zu verweigern.

Vielleicht geht er einfach nicht gerne in die Kirche.

Manuel Weißhaar

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