- Umsonst & Drinnen-Club-Special im E-Werk, 02.12.2010
Bei klirrender Kälte, Frost und eisigen Schneeverwehungen begibt sich das gewöhnliche menschliche Individuum gerne mal für „umsonst“ nach „drinnen“ – und sofern nötig, sogar in den Keller. Das gilt vor allem dann, wenn auch noch die Aussicht besteht, die bisweilen steif gefrorenen Extremitäten beim Tanzen zu treibender Rockmusik wieder auf Temperatur zu bringen. Gründe genug also, an diesem Donnerstagabend mal wieder im E-Werk vorbeizuschauen, um beim Umsonst & Drinnen-Club-Special dem hiesigen Rock’n’Roll-Nachwuchs auf der Kellerbühne bei der Arbeit zuzuschauen.
Wobei man das mit dem Nachwuchs eigentlich schon gleich wieder dementieren sollte – schließlich sind die Protagonisten des Abends, My New Zoo, Willie Tanner und Jack’s Smirking Revenge bei weitem keine Unbekannten mehr. Dennoch obliegt ihnen die nicht zu unterschätzende Aufgabe, dass aufgrund der Architektur der Kellerbühne stufenweise über ihnen versammelte Publikum zum Tanzen zu bringen – eine für Rockkonzerte ungewöhnliche Ausgangslage. „Jack’s Smirking Revenge“ benötigen als erste Band des Abends dann auch etwas Anlaufzeit, bis die Zuhörerschaft sich darauf einigt, die unterste Stufe vor der Bühne als eine Art Ersatz-Tanzboden zu benutzen. Der Sound dröhnt angemessen laut und erstaunlich sauber aus den Boxen, während Jack’s Smirking Revenge präzise ihre eingängigen Songs präsentieren. Die klare Stimme von Sängerin Aisha und der ausdauernde Einsatz von Elektronik setzen dabei deutliche Kontrastpunkte zu den harten Riffs und Basslinien – aber auch wenn Bassist Max gelegentlich in fast schon traditioneller Nu-Metal-Manier dazwischen kreischt, bleiben die Songs der Band vor allem in ihren Refrains stets kontrolliert poppig und gönnen sich großzügig Anleihen am mittlerweile etwas abgeflauten Emorock der letzten Jahre. Dass es einigen ihrer Stücken bisweilen an Ecken und Kanten mangelt und der ein oder andere Song etwas zu kalkuliert gen Radiopop schielt, machen Jack’s Smirking Revenge mit einer souveränen und druckvollen Performance wieder wett, der vor allem zum Ende hin der ausgiebige Jubel des Publikums sicher ist.
„Willie Tanner“, benannt nach dem Adoptivvater des 90er-Jahre-Serienhelden Alf, steuern im Anschluss trotz gleicher Grundprämisse (Sängerin, harte Gitarrenriffs und gelegentlicher Einsatz von Elektronik) in eine deutlich andere Richtung als ihre direkten Vorgänger – geradlinig und ohne überflüssige Verzierungen drücken sie ihre Interpretation harten Alternativrocks aus den Verstärkern, beweisen aber fortwährend ein feines Händchen für griffige Melodien und Refrains. Auf den ersten Blick liegt der Vergleich mit den 90er-Heroen „Guano Apes“ nahe, auch weil Sängerin Katie T. über ein ähnlich kraftvoll röhrendes Organ wie deren Frontfrau verfügt – doch von der dumpfen Bierseligkeit, die der Band aus Österreich bisweilen anhaftet, zeigen sich Willie Tanner weit entfernt: Zwar braten auch hier die beiden Gitarren was das Zeug hält, die Songs schlagen allerdings immer ausreichend Haken und sind stets originell genug, um der Gefahr stumpfen Gerockes zu entgehen. Leider muss die Band künftig auf die Verdienste ihres Schlagzeugers und die des Bassisten verzichten: Die beiden müssen aus beruflichen Gründen ihren Abschied nehmen. Bleibt zu hoffen, dass Willie Tanner den Verlust wettmachen und auch mit neuem Personal ihren homogenen, treibenden Sound beibehalten können.
Natürlich haben „My New Zoo“ als letzter Act des Abends nun leichtes Spiel. Schließlich zeigt sich das Publikum nach den Auftritten der ersten beiden Bands in bester Stimmung – und das Quartett macht auch ohne den Einsatz ihrer obligatorischen Pferdeköpfe schnell klar, dass man zu Genüge Wege und Mittel kennt, aus einer Menge immer noch ein bisschen mehr herauszuholen. Stilistisch vielseitig mal zwischen deftigem Punkrock, eingängigen Rockhymnen und dreckigem Rock’n’Roll hives’scher Prägung pendelnd, gelingen ihnen reihenweise ohrwurmige Songs mit enormem Mitgröhlfaktor, die ihre Wirkung nicht verfehlen, ob nun auf Deutsch, Englisch oder mitunter sogar kroatisch gesungen. Wohl um zu beweisen, dass man bei aller Effektivität ihres groovebetonten Gitarrenrocks die seit 2009 grassierende Elektrifizierung nicht verschlafen hat und auch in dieser Kategorie mitspielen kann, platzieren My New Zoo auch ein Keyboard auf der Bühne – so richtig etwas damit anzufangen weiß die Band allerdings nicht: Lediglich in einem deutlich an „Blue Monday“ der New Wave-Veteranen New Order erinnernden Stück findet man dafür Verwendung. Ihre Vielseitigkeit stellen My New Zoo auch in der Zugabe noch einmal unter Beweis und lassen als letzten Song noch eine veritable Powerballade vom Stapel, die allerdings so gar nicht zum Rest ihres Materials passen will. Somit bleibt auch der einzige leise Vorwurf, den man der Band an diesem Abend machen kann auch der, dass bei aller stilistischen Vielfalt Homogenität und Identität des eigenen Sounds etwas auf der Strecke bleiben.
Nachdem die letzten endgültig Töne verklungen sind, strömen die Leute sichtbar zufrieden aus dem E-Werk hinaus in die Kälte. Ob sie die überhaupt noch spüren? Schließlich wurden sie in den Stunden zuvor angemessen aufgeheizt – My New Zoo, Willie Tanner und Jack’s Smirking Revenge haben gute Arbeit geleistet.
Manuel Weißhaar