Poetry-Slam im E-Werk

Teilnehmer

Was für eine angenehme Art und Weise, einen Totensonntag Volkstrauertag zu beschließen! Mit fetziger Musik, verrückten Geschichten und einem kräftigen Schuss jugendlicher Prosa wurde der Poetry Slam am 14.11.2010 in Erlangen zum schwungvollen Abschluss eines Trauer-Wochenendes.

Der Toten wurde an diesem Abend zwar gedacht, jedoch eher auf humorvolle Weise: Da wurde von den Übeltätern unserer Vergangenheit Hagen von Tronje, Napoleon und Hitler gesprochen, die dem Teufel seit 2000 Jahren mit ihren Unschuldsbeteuerungen die Nerven strapazieren und passend zur Jahreszeit die Geschichte eines fallenden Herbstblattes erzählt. Die Spinne Petter musste in Egon Alters (Darmstadt) Erzählung dran glauben, in welcher sie dem Bauarbeiter aus Milwaukee zu nahe kam, der tagelang auf einer engen Toilette feststeckte und Frauen und Männer zogen in die Schlacht mit dem Ziel, das andere Geschlecht mal auf eine abwechslungsreichere Art zu Fall zu bringen. „Und dabei verlieren wir doch den Fokus auf das wirklich Wichtige: Die Liebe.“

Gewinner des Abends

Tom Schildhauer, Gewinner des Abends

Natürlich wurde auch sie behandelt. Denn wofür eignet sich Poesie besser als für die Lobpreisung einer schönen Frau, der Liebe des Lebens, der sinnlichen Bedeutung frischen Bärenfells (der da, Nürnberg), die Beschreibung der großen Sehnsucht und Suche nach dem Selbst (Appolonia) oder die Anreicherung der eh schon heißen Luft mit noch heißerer lustvoller Spannung?

Letzteres hatten sich die Finalisten Sascha Delitzscher aus Berlin und Tom Schildhauer aus Magdeburg zum Ziel gemacht. Und offensichtlich damit genau den Nerv des überwiegenden jungen Publikums getroffen, das aufgrund der lockeren Umgangsweise mit dem Thema Sex ganz aus dem Häuschen war. Während Sascha sich mehr für die tatsächliche Interaktion zwischen Menschen, schöne Frauen in der Diskothek und die auf den Bauch tätowierten Zeilen Rilkes beim Blowjob interessierte, widmete sich Tom der virtuellen Welt, einer Liebeserklärung an seinen PC und dem Plädoyer für mehr Pornofreiheit. Gerade in den männlichen Reihen sammelte er damit Punkte und – hey! – wir Frauen hatten auch mal wieder die Möglichkeit, hinter die männliche Schädeldecke zu blicken und unseren Horizont auf poetische Weise zu erweitern. In jedem Fall landete er damit einen Coup und das unabhängig von der Tatsache, dass er nur den Mund aufmachen musste, um das Publikum auf seiner Seite zu haben. Denn nichts ist sympathischer als ein Poet ohne Stimme.

The Funky Schnitzel and the Frankfurter Würstchen

Überhaupt spielte die Stimme den Abend über eine große Rolle. Das begann mit dem musikalischen Duo „The Funky Schnitzel & The Frankfurter Würstchen“, das mit beatboxing, jazzig-souligen Interpretationen bekannter Klassiker wie „Fever“ und Songs des King of Pop und den grandiosen Posaunensolos ohne Posaune begeisterte.
Und auch schon der erste poetische Beitrag hatte stimmlich einiges zu bieten: Nun ja, man war sich nachher nicht ganz sicher, aber sollte es sich tatsächlich bei Loony Lorna aus Schwandorf um einen Transvestiten gehandelt haben, so ist ihr der Mut als erste Kandidatin in jedem Fall positiv anzurechnen. Sie trug ihren Text auf Englisch und mit einer höheren Stimme vor, die die auf sympathisch einfache Weise dargestellten Gedanken eines fallenden Blattes vermutlich nicht gebraucht hätten. Doch kam durch sie die theatrale Seite eines Poetry Slams gleich zu Beginn der Veranstaltung zum Ausdruck.

Weiter ging es im Stimmlichen mit den Dialekt-Interpretationen der ein wenig pauschal gehaltenen Auswahl an Bösewichten der Geschichte und einem kritischen Gespräch über das heutige Fernsehen mit Marcel Reich-Ranicki durch den Autor Matthias Klaß aus Eisenach, gefolgt von der Erzählung vom im Bett liegenden, Konfetti werfenden, Herren mit Raucherbein, die, von Babelschlamm aus Erlangen mit Hexenstimme vorgetragen, dem Publikum einen grausig-wohligen Schauer über den Rücken jagte. Und ja, eine verstellte Stimme bringt oft Punkte, wie auch Unsicherheit und Stocker, die bei einem guten Text dennoch Sympathie hervorrufen können.

Publikum

Zugegeben, es gab schon Poetry Slams, die ihrer Bedeutung des „Knalls“ und des poetischen Wettstreits und dem Jonglieren mit Worten mehr Ehre gemacht haben und die klassische Poesie war im Grunde nur durch den nachdenklich schönen Beitrag Sakuru Dojo’s vertreten. Dennoch wurde der Abend mit der richtigen Band, der typisch trockenen Moderation Jan Siegerts, der weiteren großen musikalischen Unterstützung seines Bruders und den so völlig verschiedenen Poeten ein Erfolg.
Der krönende Abschluss eines stillen Volkstrauertags.

Wer dem Ereignis nicht beiwohnen konnte, hat am 12.12.2010 wieder die Möglichkeit dazu!
Weitere Infos unter www.e-poetry.de.

Paula Linke

7 Gedanken zu „Poetry-Slam im E-Werk

  1. Nein, ich bin bestimmt kein Transvestit. Und die höhere Stimme ist bei Maple Leaf textbezogen und soll die Todesangst des Ahornblattes wiederspiegeln. Meine anderen Texte trage ich in normaler Stimmlage vor.

  2. Pingback: Nachtrag X « Egon Alter!

  3. @Bremmo: Danke noch mal für die Bilder, sind ja jetzt auch online.

    @Adrian: Schön, dass du zu uns gefunden hast! (Nein, wir sind keine Sekte). Magst du mitmachen? Heute abend gibts von der Hochschulgruppe amnesty international nen Film, „Galgen für eine 16jährige“. Wenn du drüber schreiben willst? 18.30, Kollegienhaus 1.020.

    Und ja, wir trauern ums Volk, nicht um Tote. Ihr habt ja recht. Danke für den Hinweis!

  4. Pingback: Kurzer Blick zurück auf den November Poetry Slam Erlangen @ POETRY SLAM ERLANGEN

  5. Hey Johanna,

    nur eine kleine Anmerkung – es war nicht der Totensonntag, der ist am 21.11 diesen Jahres. Ich muss es ja wissen, Geburtstag unso ;D

    Ansonsten treffend auf den Punkt gebracht, wobei ich mir doch das „Kehlkopfkrebs“ gewünscht hätte im Text.

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